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Heraus zum Waldbaden

Spaziergang am Schlachtensee: Teil zwei der lockeren Anti-Corona-Serie „Da ist ja noch die Kunst“

Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein: das besprochene Bild „Schlachtensee“ von Walter Leistikow Foto: Martin Ada/Bröhan Museum/BPK

Von Thomas Mauch

Zwischendurch muss man einfach auch mal raus. Spazierengehen. Den Kopf durchlüften. Den Blick schweifen lassen. Weite spüren. Nähe fühlen. Bäume, die Erde, ein See … Bitte sehr, hier geht es ganz in den Südwesten von Berlin, an den Rande des Grunewalds, zum Schlachtensee.

Walter Leistikow hat ihn immer wieder gemalt, die verschiedenen Stimmungen zu den unterschiedlichen Tageszeiten auskostend. Morgens, mittags, abends. Das Gleiche machte er am Grunewaldsee und mit der märkischen Seenlandschaft, immer wieder Wasser und Bäume, prima Angebote, um mit den Augen ein wenig herumzukommen in der Natur.

Eine sehr schicke Sammlung von diesen Bildern gibt es eigentlich im Bröhan-Museum zu begucken, dem Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus. Aber natürlich hat auch das gleich am Schloss Charlottenburg gelegene Haus derzeit erst mal bis zum 20. April geschlossen, wie auf der Homepage des Museums verkündet wird. Und dass es zwischendurch eben online weitergehe, in den sozialen Netzwerken und auf YouTube, wo man zum Beispiel einen kleinen Einblick in die aktuelle Bröhan-Ausstellung zu Hans Baluschek bekommt. Vom Kaiser Wilhelm II. wurde der als „Rinnsteinkünstler“ diffamiert, und eigentlich hätte die zum 150. Geburtstag des Künstlers eingerichtete Schau bereits Ende März eröffnen sollen.

Auch mit der Kunst von Leistikow (1865–1908) konnte der Kaiser nicht wirklich was anfangen. Und der Künstler wiederum hatte wenig Lust, sich den ästhetischen Direktiven der Obrigkeit auszusetzen: der mit Gerhart Hauptmann, Lovis Corinth und Max Liebermann befreundete Leistikow war maßgeblich bei der Gründung der Berliner Secession beteiligt und später, 1903, auch bei der Gründung des Deutschen Künstlerbunds, um sich damit gegen die Bevormundung durch den staatlichen Kunstbetrieb zu stellen.

Dass Leistikow die Berliner Seen und den Grunewald immer wieder malerisch umkreiste, weist auch darauf hin, dass diese Bilder bei den Zeitgenossen begehrt waren. Der Mann war um die Jahrhundertwende ein gefeierter und kommerziell erfolgreicher Künstler, der sich seinem Sujet gar nicht mehr sonderlich naturalistisch annähern wollte. Er schuf lieber Stimmungslandschaften. Schon eine Art Impressionismus, aber weniger dem Flirren der Farbkleckse wie bei den französischen Kollegen folgend, mehr noch mal neu auf einen Caspar David Friedrich schauend.

Mehr Naturgemälde

Das Jahresthema Auch wenn es hier nicht unbedingt um auf Leinwand gebrachte Landschaftsbilder geht, kann man doch auch bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften den Blick weiten bei einer Beschau von "Naturgemälden". Die sind gerade das Jahresthema der Akademie und damit auch Gesprächsstoff eines Podcasts, bei dem man derzeit Akademiemitglieder „Auf ein Akademisches Viertel …“ treffen kann. Da sprechen die WissenschaftlerInnen über ihre aktuellen Forschungsthemen, sie erzählen eben von alten und neuen „Naturgemälden“.

Die Folgen In der ersten Folge spricht Astrophysiker Matthias Steinmetz über die Milchstraße als modernes Naturgemälde und darüber, welche Auswirkungen Corona auf den interplanetaren Raum hat. Auch die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy ist zu hören, sie spricht über afrikanische Kulturgüter in europäischen Museen und über ihre Sorge, dass die Corona-Krise negative Effekte für die Vernetzung von europäischen und afrikanischen ForscherInnen haben könnte. (tm)

Still liegt er also da, der See in diesem „Schlachtensee“-Beispiel aus der Bröhan-Sammlung. Still stehen die Bäume drumherum. Vorn die eine Handvoll Kiefern, die so das Entree bilden – die Einladung zum Spaziergang durch das Bild, wo die Bäume im Mittelgrund mit ihren Stämmen schön die Restsonne auffangen und leuchtend warmrot speichern. Bestimmt eine Abendstimmung. Vielleicht ist es auch deswegen so still. Kein Mensch ist zu sehen. Kein Spaziergänger, der sich in dieser Berliner Landschaft ergehen will. Man schaut sich hier ganz allein um.

Ein Privileg, das der Künstler dem Beschauer gern gönnte. Leistikow hatte es nicht so mit Menschen in seinen Landschaften, die doch nur die Stimmung rausgetragen hätten. Nur Landschaft, sonst nichts. Und die schaut sich so eben gleich erhabener, mit einer tiefen Ruhe. Ohne das Gequengel und Rumstromern der lieben Mitmenschen, wie das doch sonst um den Schlachtensee herum üblich ist.

Wen schon allein, dann so. Den Kopf durchlüften. Den Blick schweifen lassen. Durchatmen am Schlachtensee.

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