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Amateurinnenauf dem Atlantik

Mit einem teils interaktiven und webbasierten Filmprojekt erzählen Guido und Silvia Weihermüller von den „Wellenbrecherinnen“: So nennen sich vier Hamburger Ruderinnen, denen ein Rekord gelang

Die Webserie hatte die Aufgabe, Interessierte an Bord zu holen, eine Community zu schaffen, die im Idealfall den Film mitfinanziert

Von Wilfried Hippen

In diesen Tagen sind die meisten von uns zwangsweise zu StubenhockerInnen geworden. Das weckt ein Bedürfnis nach inspirierenden Geschichten, und in diesem Sinne liefert der Hamburger Filmemacher Guido Weihermüller mit seinem interaktiven Filmprojekt „Wellenbrecherinnen“ genau das, was gebraucht wird. Titelheldinnen sind die Hamburgerinnen Meike Ramuschkat, Catharina Streit, Stefanie Kluge und Timna Bicker: Ihnen ist es im Januar dieses Jahres gelungen, beim schwersten Ruderrennen der Welt, der „Atlantic Challenge“, über den Atlantik zu rudern, von La Gomera nach Antigua – und sie waren das erste deutsche Frauenteam bei diesem Rennen.

Weihermüller hat das Quartett mehr als ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. Über die Vorbereitungen und das Training hat er bereits eine Webserie gedreht, deren 12 Episoden gestreamt werden können. Parallel dazu hat der Filmemacher auch eine Reihe von Filmen für die „ZDF-Sportreportage“ produziert, die sich mit ein wenig Aufwand auch in der Mediathek des Senders finden lassen. Zur Zeit stecken er und sein Team – Produzentin ist seine Ehefrau Silvia – in der Postproduktion zu einem Kinofilm, der auch „Wellenbrecherinnen“ heißen wird. Sein geplanter Starttermin im Juni ist bis jetzt auch noch nicht abgesagt oder verschoben worden.

Bemerkenswert an den vier Porträtierten ist, dass sie keine professionellen, keine Extremsportlerinnen sind: Es sind ambitionierte Amateurinnen, denen man so eine Leistung auf den ersten Blick nicht zutrauen würde. Das macht die Webserie umso interessanter, die für 99 Cent pro Episode oder 5,99 Euro fürs ganze Dutzend angesehen werden kann: Da lernen die ZuschauerInnen die vier Hamburgerinnen in ihrem Alltag kennen. Meike Ramuschkat etwa macht während der einjährigen Vorbereitung ihre Facharztprüfung als Kardiologin, Timna Bicker heiratet zwischen den harten Trainingseinheiten.

Gezeigt wird auch, wie die vier nach Großbritannien fahren, um dort ihr Boot zu kaufen, und überwiegend männliche Sportskollegen sie für „verrückt“ halten; aber auch, wie eine Sportpsychologin und ein Personaltrainer sich um die geistige und körperliche Verfassung der vier kümmern – und wie die allerlei Rückschläge wegstecken: So zog sich eine ursprünglich an Bord gewesene Frau nach den ersten Wochen zurück, als Ersatz kam Stefanie Kluges Tochter Timna mit ins Boot. Und die einzige Probefahrt auf hoher See, eine Überquerung des Ärmelkanals, mussten sie wegen schlechten Wetters abbrechen.

In jeder Episode gelingt Regisseur Weihermüller ein Spannungsbogen und die Dramaturgie der Webserie ist auch deshalb so wirkungsvoll, weil mit den Protagonistinnen interessante und beinahe archetypisch unterschiedliche Charaktere gefunden wurden: So gibt es die „Spitzensportlerin“, die „Technikerin“, die „Seele“ und das „Sorgenkind“. Alle vier gehen offen und entspannt mit der Kamera um, sodass man im Laufe der zwischen sieben und neun Minuten langen Episoden immer besser versteht, was diese Frauen antreibt und welche Anstrengungen es sie kostet, ihren Traum zu verwirklichen.

Die Webserie endet dann in La Gomera am Start des Rennens mit einem klassischen Cliffhanger. Unter den Beiträgen für das ZDF gibt es dann aber auch einen 15 Minuten langen Film über die erfolgreiche Ozeanüberquerung – Titel: „Zwischen Seekrankheit und großen Glücksgefühlen“.

Das Projekt ist sowohl sportlich wie auch künstlerisch eine Herausforderung, und so betont Guido Weihermüller gegenüber der taz gleich mehrmals die Parallelen zwischen den Leistungen der vier Frauen im Film und denen der Produktionsfirma „Close Distance“, die Ehefrau Silvia leitet: „Wir saßen alle in einem Boot.“ Denn das Projekt wurde unabhängig finanziert, ohne Filmförderung. Guido Weihermüller begleitete seine Protagonistinnen für über 30 Drehtage – insgesamt mehr als ein Jahr lang.

Die Webserie hatte die Aufgabe, Interessierte an Bord zu holen, eine Community zu schaffen, die im Idealfall das Projekt auch mitfinanziert. Es folgte im vergangenen Jahr eine Crowdfunding-Kampagne, auf der Homepage werden Premierenkarten angeboten – Preis: 50 Euro –, aber auch DVDs mit dem fertigen Film, wenn er dann mal fertig ist. „Subskription“ nennt sich dieses altgediente Modell, mit dem beispielsweise auch die HamburgerInnen Leslie Franke und Herolor Lorenz ihre politischen Dokumentationen, darunter „Der marktgerechte Mensch“, finanzieren.

Die Dreharbeiten waren kurz nach der triumphalen Ankunft des Vierers in Antigua am 23. Januar 2020 abgeschlossen. Daher zählt „Wellenbrecherinnen“ zu den derzeit raren Filmprojekten, welche die Corona-Krise nicht verzögert oder gleich ganz versenkt hat: Anfang März wurde die Postproduktion den veränderten Bedingungen angepasst; an Schnitt, Bildbearbeitung, Musik und Sounddesign arbeiten die Teammitglieder jeweils in eigenen Studios und Arbeitsräumen, die Kommunikation findet per täglicher Videokonferenz statt. So konnte der Produktionsplan bis jetzt eingehalten werden.

Viel größere Probleme haben Silvia und Guido Weihermüller mit ihrem parallel produzierten Projekt „Sxulls“. Auch darin geht es um Sport und entstehen sollte es nach dem gleichen Schnittmuster: mit einer Webserie auf der eigenen Homepage, einer vierteiligen Reportage für das ZDF und einem Kinofilm mit Premiere später in diesem Jahr.

Eigentlich wollte Weihermüller mit der Kamera das deutsche Skuller-Ruderteam auf seinem Weg zu den Olympischen Spielen in Tokio begleiten. Die sind nun doch verschoben um ein Jahr. Die offensichtliche Lösung wäre es, das Team einfach ein weiteres Jahr lang zu begleiten. Bloß kann zurzeit nicht gefilmt werden. Die neun Protagonisten haben aber Digitalkameras bekommen, mit denen sie wenigstens Videotagebücher führen. So ergibt sich aus der Krise eine Chance: Im Rahmen des Projekts könnte ein Dokument darüber entstehen, wie SportlerInnen die besondere Situation bewältigen – oder daran scheitern. Als Filmemacher sieht Guido Weihermüller das als eine Gelegenheit, einen noch spannenderen und thematisch wichtigeren Film zu machen. Aber schon entstandene Verluste und möglicherweise erhebliche Mehrkosten sind noch gar nicht kalkulierbar.

www.wellenbrecherinnen.de

www.zdf.de/sport/zdf-sportreportage

www.sxulls.de

www.close-distance.de

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