: Kassen schrumpfen Kinder-Kuren
Eltern behinderter Kinder sind besonders belastet, aber die Kassen bewilligen immer weniger Reha-Maßnahmen. Die Begründung: Die Anträge seien nicht „aussagekräftig“. Das Therapiezentrum Mardorf am Steinhuder Meer – einzige Einrichtung seiner Art im Norden – steht deshalb vor dem Aus
von Dirk Misslisch
Rückenbeschwerden, chronische Erschöpfungszustände und Depressionen: Angehörige von behinderten Kindern haben es besonders schwer. Im Therapiezentrum Mardorf am Steinhuder Meer können sie kuren. In Deutschland gibt es nur drei solcher Einrichtungen, im Norden nur in Mardorf. Noch. „Uns steht das Wasser bis zum Hals“, sagt Peter Schubert-Herbst, Chef des Gesamtbetriebsrates der Gesellschaft für soziale Einrichtungen des Deutschen Roten Kreuzes, das Träger der Einrichtung ist. Wegen ständig sinkender Patientenzahlen sind in Mardorf in den vergangenen Jahren hohe Defizite eingefahren worden. Das Therapiezentrum steht vor der Schließung, 50 Jobs sind bedroht.
Dahinter steckt offenbar systematisches Kostendumping der Kassen. Obwohl sie seit 2002 laut Sozialgesetzbuch Mutter-Kind-Kuren genehmigen müssen, versuchen sie, die Regelung zu umgehen. Während früher Behinderte und Eltern mangels Kurplätzen lange warten mussten, werden nun 20 Prozent weniger Anträge von den Krankenkassen genehmigt, sagt die Einrichtungsleiterin Magit Blondke. Und: „Wenn es uns nicht mehr gibt, ist die Landschaft leer.“ Inzwischen würden die Kassen sogar vier von zehn Anträgen abschmettern, ärgert sich Gesamtbetriebsrat Schubert-Herbst. Insgesamt hätten die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr fast ein Fünftel der Kosten für Vorsorge- und Reha-Leistungen für Mütter und Mütter mit Kindern gespart.
Anstatt der ihnen zustehenden Kur würden berufstätige Mütter behinderter Kinder heute an die Rentenversicherungsträger verwiesen, obwohl „diese nicht über behindertengerechte Angebote verfügen“, sagt Schubert-Herbst. Eine andere Variante, die Kosten zu senken: Eine ambulante Badekur für das Elternteil wird genehmigt, psychosoziale Beratung wie Kinderbetreuung finde jedoch nicht mehr statt.
Rückendeckung erhält der Betriebsrat inzwischen aus der Politik. „Es fehlt vielen Krankenkassen am Kooperationswillen“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Caren Marks, die die Problematik aus ihrer Arbeit im Familienausschusses kennt. Anfragen an die Kassen seinen bislang „entweder zögerlich, gar nicht oder nur unzureichend beantwortet“ worden. „Permanente Wiedervorlage“ hieße das Spiel. Weil es sich lohne, „für diese Einrichtung zu kämpfen“, will Marks jetzt den Behindertenbeauftragten des Bundes einschalten.
Die Beschuldigten sehen die Sache naturgemäß anders. Edelinde Eusterholz vom Verband der Angestellten-Krankenkassen weist die Vorwürfe zurück – und schiebt den Antragstellern den schwarzen Peter zu: Viele Kuranträge seien einfach „nicht aussagekräftig genug“ und würden daher abgelehnt. Auch Reinhild Waldeyer-Jaebe vom Spitzenverband der AOK vermisst aussagekräftigere Befunde, um besser entscheiden zu können. Waldeyer-Jaebe: „Jede Frau, die diese Therapie braucht, soll sie auch bekommen.“