Bis alles wieder easy ist

Samuel Treindl und Kevin Bauer haben ihr temporäres Bastelexperiment im Osnabrücker Kunstraum Hase29 „Alles Easy“ betitelt. Das Projekt setzt auf Partizipation, trotz Corona soll die Ausstellung nicht ohne Publikum bleiben und wandert erst mal ins Internet

Kunst als soziale Kreativität auch in Zeiten von Corona: Samuel Treindl und Kevin Bauer bauen erst ab, wenn die Krise vorbei ist Foto: Angela von Brill

Von Harff-Peter Schönherr

Samuel Treindl hat Lust auf ein Bier, schön kalt. Und das holt er sich auch, trotz allem. „Eigentlich wäre ja jetzt Eröffnung“, sagt er und hebelt den Korken runter. Aber Corona legt die halbe Stadt lahm, und mit ihr auch den kleinen Kunstraum Hase29. Viele Leute, auf engem Raum? Nicht dran zu denken, im Moment. Dabei heißt die Ausstellung, die nun geschlossen bleibt, „Alles­ Easy“. Ein solcher Titel, in einer­ solchen Zeit? „Klingt natürlich jetzt superhart“, sagt Treindl und schmunzelt ein bisschen. „Aber der stand ja schon lange vorher fest.“

Ganz ohne Publikum wird „Alles Easy“ nicht bleiben, trotz Corona. Echte Zuschauer-­Partizipation in der „Factory“, die Samuel Treindl hier „im Tandem“ mit Kevin Bauer betreibt, als „Ort experimenteller Produktionsverfahren“, geht zwar jetzt nicht. Aber Treindl und Bauer haben ihre Raum­installation trotzdem fertig. Und damit jeder sie sehen kann, von draußen, durch die riesige Glasfront, brennt hier jetzt permanent Licht. Videos der Entstehung hat die Hase29 zu virtuellen Rundgängen zusammengestellt, auf die Webseite geladen, auf YouTube, Facebook, Instagram­ – eine Digitalgalerie ist entstanden. Außerdem bleibt „Alles Easy“ so lange stehen, bis Corona vorbei – und alles wirklich wieder easy ist. Dann wird eröffnet, ganz analog.

Alurohre haben Treindl und Bauer zurechtgebogen. Kartonreste zusammengesucht, Farbe in Gips gequirlt, haben sich Platten gepresst, für „architektonische Versuche“. Eine bizarre, schräge, witzige, skurrile Welt ist so entstanden, in der nichts unmöglich scheint. Eine Hubkette hängt von der Decke herab, ein Block skeletthaft ausgeweideter Flugzeugsitze. Mitten im Raum hängt eine Jalousie, die neugierig macht auf das, was sie verbirgt, ohne es zu verbergen. Gewaltige Styroporfelsen hängen­ halb in der Luft. Rechts an der Wand das Fragment eines­ Klimaanlagenschachts, auf ihm eine wächserne Hand, wie zerschossen. An der Wand ein paar Trockengestelle, denn Gips braucht 30 Minuten zum Aushärten. In der Mitte ein Berg blauer Tonnen, Fässer und Kanister, die aussehen wie für den Giftmüll eines Endzeit-Shooters.

Ein Stapel Eimer, ein Bündel Stuhlbeine, eine rotglühende Heizlampe. Merkwürdige Gebilde aus himmelblauen Gewindestangen, angerosteten Metallresten, pinken Spanngurten umwachsen, umweben, umwuchern Pfeiler, die eine Decke­ tragen, in deren Verkleidung Löcher klaffen für Botschaften wie „Lust auf Kartoffeln“. Überall Spachtel und Pinsel, Maurerkellen und Cuttermesser, Spraydosen und Schwämmchen. Ein paar Schlangen Waschmaschinenkabel, abgeschnitten auf einem Recyclinghof. Ein Tisch voller Abtönfarben von brombeer- bis mohnrot.

„All das hier“, sagt Samuel Treindl, „nimmt die Angst vor dem Unkontrollierbaren.“ Er sagt es, auch, wie einen Kommentar zur Coronakrise. „Es geht um Ordnungszusammenhänge. Und darum, was passiert, wenn Veränderung einsetzt.“ „Produktion“ steht auf Treindls blauer Handwerkerjacke.

Und dann, auf dem Weg durch „Alles Easy“, durch diese bunte, bewegte, alchimistische, teils höchst selbstironische Collage verspielter und doch visionsernster Maschinenstationen, die nur bedienen kann, wer im Kollektiv arbeitet, gedanklich wie manuell, erzählt er von der FFAP, seiner „Forschungsstelle für anarchistische Produktion“. Wo Plan neben Zufall steht, gleichberechtigt. Wo der Laie mitdenken kann, mithandeln, es aber auch den Fachmann braucht – zum Beispiel, um Eitempera,­ hergestellt nach einem Rezept aus dem 15. Jahrhundert, durch eine aufgebohrte Lackierpistole zu jagen.

Samuel Treindl kommt aus Münster, Kevin Bauer aus Den Haag. Vor „Alles Easy“ wussten sie nichts voneinander. Am Anfang stand ein Road Trip, eine „künstlerische Forschungsreise“, um sich kennenzulernen und um Material zu sammeln, einen ganzen Lkw voll. Los ging es in den Niederlanden, das Ziel war Osnabrück. Sieben Tage dauerte die Fahrt, und von überall haben Treindl und Bauer etwas mitgebracht. Zum Beispiel die Felsen, die keine sind. „Die kommen aus Enschede“, sagt Treindl und nimmt einen Schluck. „Lagen da rum, haben viel Platz gefressen. Also haben wir sie mitgenommen.“

„Alles Easy“: Diese Botschaft klebt hier überall. Manchmal diagonal die Wand runter, manchmal halb über Kopf. Und das stimmt auch: Es geht um Formen des Einfachen. Klar, da ist dieser raumschiffsilberne Gebläseschlauch, der sich über den Boden windet, mannsdick. Da ist dieses hornissennestartige Etwas aus eingegipster Knallfolie. Da ist diese spacige Maschine aus Alublech, die wie ein riesiges Waffeleisen aussieht und auf der gerade eine eingegipste Lampe liegt, fertig zur Montage.

Am Ende, wenn „Alles Easy“ wieder abgebaut ist, können die Besucher übrigens mitnehmen, was temporär Kunst war, Design, Handwerk, Materialerkundung, Kommunikationsangebot. Bestimmt auch dieses Pappstück, auf dem „Potato slices“ steht. Bestimmt auch die Gitternetzrolle, die mitten im Materialberg klemmt. Oder dieses halb verwitterte Brettchen, aus dem diese rostigen Schrauben ragen. Und manchmal wird es dabei dann sicher auch ein bisschen hektisch.

Denn dann, nach Corona, ist die „Factory“ wirklich eine. Kartonrest­ auf den Rolltisch, angerührte Gipsmasse drüber, umdrehen, das Ganze noch mal, unterm Abstreichholz durch, Reste in den Auffangsack. Zu langsam? Wegschmeißen und Neustart.

Elisabeth Lumme und Michael­ Kröger, die Kuratoren der Hase29, haben Treindl und Bauer eine „Carte blanche“ gegeben:­ „Ein Wagnis für alle Beteiligten.“ Im Ergebnis sehen sie „mehr als die Summe von zwei individuellen Künstlerpersönlichkeiten“. Dass Kunst „zu einer­ Form sozialer Kreativität“ wird, die „die Gesellschaft zugleich herausfordert und bereichert“, mögen sie. Es ist der Sinn ihres Kunstraums.

Gleich hinter dem Eingang steht übrigens ein Schild, auch einer dieser Fundstück-Kartonfetzen. „Welcome to our wonderful­ world of flavor“ steht drauf, in Rot und Gelb und Grün. Genau: Willkommen! Trotz allem. Oder gerade wegen allem.

Ausstellung „Alles Easy“, Osnabrück, Kunstraum Hase29; im Internet: www.gzk-os.de