die woche in berlin
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Corona, Corona: Der Senat lässt Spielplätze (noch) offen – einige Bezirke aber schließen sie nun doch. Homeoffice ist das Zauberwort der Stunde. Und in Flüchtlingsheimen wird bei Corono-Fällen ein ambivalenter Kurs gefahren.

Die simpelste Soli-Regel: Abstand!

Solidarität und Spielplätze in Zeiten von Corona

Mit der Solidarität in Corona-Krisenzeiten ist das so eine Sache. Solidarisch sein wollen alle, irgendwie, und ein bisschen mehr auf die anderen um einen herum achten, tut ja auch nicht zuletzt einem selbst gut: Der älteren Nachbarin ein Brot vom Einkauf mitbringen, damit sie nicht noch mal raus muss – schnell gemacht und fühlt sich gut an.

Seit Mittwoch macht ein Bezirk nach dem anderen auch die Spielplätze dicht – der Senat hatte die am Dienstag eigentlich von Schließungen ausgenommen. Aber die Bezirke können das selbst regeln, und sie tun es, und sie zeigen Härte. Die Ansage: Leute, bleibt zu Hause und nehmt die Sache mit dem Social Distancing verdammt noch mal ernst! Seid solidarisch.

Das Signal ist verständlich, wenn man in der letzten Woche in der Stadt unterwegs war und gesehen hat, wie unbeschwert Eltern mit ihren Kindern in Grüppchen um die Sandkästen hockten, in dichten Trauben in den Parks aufeinandersaßen und in der Schlange für das erste Eis definitiv nicht weiter auseinanderstanden als sonst.

Dabei, warnen die Experten vom Robert-Koch-Institut, solle man sich doch bitte nicht in falscher Sicherheit wiegen: Die Fachvokabel für Pandemie-Kurven lautet exponentielles Wachstum. Die Frage ist: Wie schnell verdoppelt sich die Zahl der Infizierten? Je mehr Tage dazwischen liegen desto besser. Bisher hat sich in Berlin etwa alle drei Tage die Zahl der (bekannten) Corona-PatientInnen verdoppelt. Am Anfang ist das ein tückisch langsames Wachstum. Doch haben die Zahlen erst mal eine bestimmte Größe erreicht, geht es rasend steil nach oben.

Und dennoch, und an der Spielplatz-Frage sieht man das sehr deutlich: Der Grat zwischen dem Schutz der Bevölkerung und der Einschränkung von Freiheitsrechten ist schmal. Nicht umsonst hat der Senat gezögert, die Rutschen und Schaukeln dichtzumachen. Gerade in der Großstadt sind Spielplätze nicht zuletzt auch sehr demokratische Orte – weil sie allen Kindern offen stehen, kostenlos.

Mit den geschlossenen Spielplätzen baden die Kinder (und gestresste Homeoffice-Eltern) jetzt aus, dass zu viele Erwachsene es leider nicht gebacken bekommen haben, die simpelste Soli-Regel dieser Tage einzuhalten: Abstand zu halten. Wie schade. Anna Klöpper

Der Grat zwischen dem Schutz der Bevölkerung und der Einschränkung von Freiheits-rechten ist schmal

Anna Klöpper über die Schließung von Spielplätzen in einzelnen Bezirken

Die ganzgroße Mogelpackung

Alle im Homeoffice? Geht nicht, es kommt auf die Branche an

Homeoffice. Homeoffice. Das Wort dieser Tage neben Corona. Besser: das Unwort – und eine große Mogelpackung der Politik. Eingeschränkte Verkehrsverbindungen? Kein Problem, machste Homeoffice. Kitas dicht? Kann man ja von zu Hause aus arbeiten. Unter häuslicher Quarantäne? Egal, es gibt ja Homeoffice. Wenigstens nebenbei erwähnte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen am Dienstag mal, das gehe ja noch nicht für alle. Es geht aber eben nicht nur nicht für alle und das auch auf Dauer nicht, sondern vor allem nicht für die, die den eigentlichen Betrieb am Laufen halten.

Denn wer backt denn weiter Brötchen und Brot? Wer muss an der Supermarktkasse die ganzen Abgedrehten und Hamsterer ertragen? Wer trägt morgens weiter diese Zeitung aus, bei Wind und Wetter? Wer kümmert sich im Altenheim um die Menschen? Und wer wird als Ärztin oder Pfleger in den Kliniken mutmaßlich unvorstellbar schwere Zeiten erleben? Wer fällt noch Urteile im Gerichtssaal, damit der Rechtsstaat weiter funktioniert? Wer holt weiter jeden Morgen den Müll ab? Und wer muss auf dem Weg dahin oft zwangsläufig mit Bus oder Bahn unterwegs sein und ein zusätzliches Corona-Risiko eingehen, weil er oder sie sonst nicht zur Bäckerei, Klinik, zum Altenheim, zum BSR-Fuhrpark oder zu seiner Polizeiwache kommt?

Das geht alles nicht von zuhause im Homeoffice, aus dem gerade schon nach wenigen Tagen die ersten Berichte von Lagerkoller dringen und wie schlimm das alles sei, die Kinder zu beschäftigen. Kann ja subjektiv so sein – aber es erinnert irgendwie an eine mehrere Jahre alte Reportage aus einem Bundeswehrstützpunkt in Afghanistan: Während draußen zwei Kampfbatallione, die sogenannten Draußis, unter Beschuss lagen, soll hinter den Stützpunktmauern, bei den „Drinnis“, im Meckerbuch die Frage gestanden haben, warum es zum Frühstück nur eine Marmelade gab.

Wenn sich irgendwann mal die traurige Situation ergibt, dass nur die Hälfte der Menschheit weiterleben dürfte – weil in die Arche eben nicht alle reinpassen oder Hilfsraumschiffe von Aliens nur jeden Zweiten zu einem Ersatzplaneten evakuieren können, dann wird die Frage: „Kannst Du Homeoffice machen?“ eine ganz andere Bedeutung haben. Sie wird zu einer Art Triage werden, jenem grausamen, aber unvermeidbaren Entscheidungsprozess, den Ärzte durchlaufen, wenn sie festlegen, wen sie mit ihren begrenzten Ressourcen zuerst behandeln. Es wird die Frage sein, wer fürs nackte Überleben der Gesellschaft nötig ist, für den Notbetrieb oder ersten Wiederaufbau unter widrigsten Bedingungen. Und das werden meistens nicht die sein, die ihren Job zu Hause machen können.

Das soll keine Schmähung sein – diese Zeilen entstehen ja selbst im Homeoffice. Aber diese Krise kann Respekt lehren: Respekt vor Menschen und ihrer Arbeit, die viele andere bisher bloß als natürliche und selbstverständliche Dienstleistung betrachtet haben. Eine Dienstleistung vor allem, die in vielen Fällen viel zu schlecht bezahlt wird.

Stefan Alberti

Das würde man Einheimischen nie zumuten

Flüchtlingsunterkunft unter Quarantäne wegen eines Falles

Man kann wohl dieser Tage nicht alles verstehen, was behördlicherseits entschieden wird. Vieles wirkt erratisch, etwa die Entscheidung des Gesundheitsamtes, eine ganze Flüchtlingsunterkunft unter Quarantäne zu stellen, weil es dort einen Corona-Fall gibt. Seit dem 12. März sitzen 132 Menschen in einem ehemaligen Hotel fest. Die Meldung war zunächst fast untergegangen zwischen den vielen Corona-Schlagzeilen der letzten Tage.

Dann kam am Freitag die Nachricht, dass eine zweite Berliner Unterkunft seit Dienstag unter Quarantäne steht, diesmal sind 216 Personen betroffen. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass im thüringischen Suhl Menschen in einer Flüchtlingsunterkunft revoltierten, weil dort über 500 in Quarantäne sind. Und man fragt sich: Muss das sein, hunderte Menschen einzupferchen wegen eines Falls?

Die steile These: Man macht es, weil man es kann. Bei Flüchtlingen traut sich die „Obrigkeit“ – altmodisches Wort, aber hier passt es ganz gut – Maßnahmen zu ergreifen, die sie Einheimischen nie zumuten würde. Oder wäre es denkbar, dass ein ganzes normales Wohnhaus unter Quarantäne gestellt wird, weil eine* Bewohner*in Corona hat? Das hunderte Menschen nicht mal mehr einkaufen dürfen und stattdessen unter Polizeischutz mit Fertigessen versorgt werden?

Bei Flüchtlingen ist man mit solch drastischen Maßnahmen ganz offenbar schneller zur Hand. Vielleicht weil man sie ja ohnehin kaum als Individuen, vielmehr als Gruppenangehörige ansieht und entsprechend als Gefahr begreift, für „unsere“ Kultur, „unseren“ Wohlstand, „unsere“ Gesundheit.

Dass es anders geht zeigen die Beispiele Heidelberg und Karlsruhe. In den dortigen Erstaufnahmen gab es laut Medienberichten ebenfalls erste positive Corona-Fälle. Aber es seien nur die Betreffenden isoliert worden, nicht alle Bewohner*innen.

Die Quarantäne in deutschen Heimen ist gerade sicher nicht das Schlimmste, was Flüchtlingen in Europa und an deren Grenzen derzeit zustößt. Aber sie ist erneut ein Zeichen dafür, dass uns ihr Wohlergehen deutlich weniger am Herzen liegt als unser eigenes – aller Menschenrechtsrhetorik unserer Spitzenpolitiker*innen zum Trotz. Apropos: Gab es da nicht das Versprechen, wenigstens 1.500 Kinder und Jugendliche von den Inseln zu holen? Ach, nein, wir haben ja gerade eigene, viel dringendere Sorgen. Susanne Memarnia