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Archiv-Artikel

„Er tat so, als sei er der neue Wallraff“

FRONTEN Helmut Richard Brox über André Fahnemann und dessen Vorwürfe gegen den gemeinsamen Exchef

Helmut Richard Brox

■ 48, lebt auf der Straße. Von November 2008 bis Mai 2009 wohnte er kostenlos bei Günter Wallraff. Brox betreibt ohnewohnung-wasnun.de. Er ist nominiert für den Deutschen Engagementpreis 2012.

INTERVIEW FELIX DACHSEL

taz: Herr Brox, ein früherer Mitarbeiter von Günter Wallraff, André Fahnemann, fühlt sich vom Kölner Enthüllungsjournalisten ausgebeutet, er hat im Spiegel ausgepackt. Auch Sie haben mit Wallraff zusammengearbeitet. Hat Fahnemann recht?

Helmut Richard Brox: Ich kenne Herrn Fahnemann seit November 2008 persönlich, ich hatte privat und beruflich mit ihm zu tun. Wallraff hat ihn immer gut behandelt. Es war sein größter Wunsch, von Wallraff gut behandelt zu werden. Der hat ihn nie als Sekretär gesehen, sondern als Helfer, der sich um einfache Bürotätigkeiten kümmerte. Es war umgekehrt! Fahnemann wollte mehr arbeiten. Es war der ausdrückliche Wunsch von ihm, dass er auch Botengänge machen darf. So konnte er Wallraff immer näher rücken. Er tat so, als ob er der neue Wallraff sei.

Wie haben Sie Wallraff kennengelernt?

Ich bin selbst obdachlos. Wallraff hat mich Ende Oktober 2008 kontaktiert. Ihm war meine Internetseite aufgefallen. Wallraff bereitete gerade eine Reportage über Wohnungslose vor, das ZDF zeigte sie 2009 unter dem Titel „Unter null“. Wallraff bot mir an, dass ich bei ihm in seiner Kölner Wohnung kostenlos wohnen könnte. Bis Mitte Mai 2009 lebte ich bei ihm. Auf seine Kosten.

Sie haben Wallraff bei der Recherche erlebt. Wie ging er mit Informanten um?

Bei seinen Recherchen zum Film „Unter null“ hat er alle gut und fair behandelt, ausnahmslos.

Und wie ging er mit Fahnemann um?

Ich kann sagen, dass er ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm hatte. Er war sehr offen, in allen Punkten. Fahnemann konnte sich im Haus bewegen, wie er wollte. Er konnte an Wallraffs Geld ran. Diese Offenheit, diese Vertrautheit brachte er auch anderen Menschen entgegen. Mir zum Beispiel.

Und wie ging Fahnemann mit Wallraff um?

Am Anfang hatte ich das Gefühl, er sei stolz darauf, bei Wallraff arbeiten zu dürfen. Fahnemann sagte immer, er sei „der Sekretär“. Und er werde mal Wallraffs Nachfolger. Dann gab es etwas, was mich stutzig machte. Im April 2011 war ich Gast bei Wallraff in seinem Haus in Köln. Abends besuchte ich Fahnemann, der nur einige Häuser weiter wohnt. Er war immer gastfreundlich zu mir.

Und was machte Sie dann stutzig?

Wir hatten etwas getrunken. Da sagte Fahnemann, Wallraff verdiene so viel Geld an mir, dass ich ihn jetzt mal belangen soll. Ich solle fordern, dass ich namentlich erwähnt werde. „Nimm keine Rücksicht“, sagte er. „Greif ab, was geht! Nimm, was du kannst!“ Und dann erzählte er private Dinge über Wallraff.

Haben Sie jemals Geld von Wallraff bekommen?

2009 ging es darum, dass ich Geld für meine Tätigkeit bekommen sollte. Fahnemann nutzte die Situation, um zu tricksen. Er verkaufte Wallraff einen kaputten Laptop, den mir Wallraff dann schenkte. Fahnemann sagte ihm, das sei ein gutes Gerät. Wallraff kaufte den Computer blind. Fahnemann hat die Blauäugigkeit von Wallraff schamlos ausgenützt.

Ist Wallraff naiv?

Wallraff ist von Hause aus ein liebenswerter Mensch. Wenn ihm jemand Hilfe anbietet, dann macht er aus Dankbarkeit Luftsprünge. Das ist seine Naivität.

Sie haben also niemals Geld von Wallraff bekommen?

Nein, ich wollte kein Geld. Ich wäre mir vorgekommen wie ein Schwein. Ich konnte doch kostenlos bei ihm wohnen. Fahnemann redete eindringlich auf mich ein, ich solle unbedingt Geld annehmen und so viel wie möglich fordern. Ohne Pardon.

Haben Sie dann Geld von Wallraff gefordert?

Nein. Wallraff kam dann von sich auf mich zu und machte mir ein Geschenk. Ein finanzielles Entgegenkommen. 1.000 Euro. Hinterher war mir ganz übel.

Im Mai 2009 sind Sie aus Wallraffs Wohnung ausgezogen. Hielt der Kontakt?

Ja. Wallraff bot mir eine Zweizimmerwohnung an in einem Haus, das ihm gehört. Er stellte die halbe Miete dem Sozialamt in Rechnung. So konnte ich dort kostenlos wohnen.