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Frauen streiten für die Freiheit

Regisseur Mohsen Azizi Ashtarkan lebt in Bremen im Exil. Hier hat er mit heimlichen Aufnahmen aus dem Iran einen Film über seine Teheraner Heldinnen produziert: Frauen, die gegen das Regime rebellieren

In der Verbreitung über Youtube sieht Regisseur Mohsen Azizi Ashtarkan die Chance, dass sein Film über die revoltierenden Frauen von der Enghelab-Straße in seinem Heimatland wahrgenommen wird. Die Vorführung im Überseemuseum ist jetzt wegen Corona verschoben Foto: Überseemuseum/Volker Beinhorn

Von Mahé Crüsemann

Ein Video: Eine Frau steht auf einem Stromverteiler-Kasten mitten auf einer belebten Straße. Um sie herum: viele Menschen. Manche gehen vorbei, die meisten bleiben stehen und schauen sie an. Die Videoqualität ist nicht sehr hoch, das Bild wackelt. Anscheinend wurde das Video mit einem Handy aufgenommen. Die junge Frau nimmt ihren weißen Hijab, ihr Kopftuch, ab und reckt ihn an einem Stock in die Höhe. Ihre dunklen Haare fallen auf ihre Schultern. Der Blick ist geradeaus gerichtet. Sie steht aufrecht und gerade da, wie eine Statue.

Der Verteilerkasten, auf den die junge Frau geklettert ist, steht in Teheran, der Hauptstadt vom Iran, an einer belebten Kreuzung der Enghelab-Straße. Die junge Frau wurde am Tag, nachdem das Video entstand, verhaftet. Im Iran ist das keine Kunst und keine Performance. Als Frau öffentlich den Hijab abzulegen, ist ein Akt der Rebellion. Darauf stehen viele Jahre Gefängnis. Seit diese junge Frau aber mutig auf den Verteilerkasten geklettert ist und so ihre Freiheit aufs Spiel gesetzt hat, gab es weitere Rebellinnen.

Viele taten es ihr nach und kletterten in den folgenden Tagen auf den Kasten an der Enghelab-Straße. Und auch anderswo im Land stiegen Frauen auf Anhöhen, Brunnen oder Kästen und rebellierten, setzten ein Zeichen für Freiheit und Menschenwürde und forderten so stumm Gleichberechtigung für alle.

„Der Hijab ist ein Symbol“, sagt Mohsen Azizi Ashtarkan. „Das diktatorische Regime im Iran möchte es um jeden Preis verteidigen.“ Es gehe dabei um die Erhaltung der Macht. Azizi Ashtarkan ist Regisseur, ursprünglich aus Teheran, aber er lebt in Bremen im Exil. Er hat einen Film über die revoltierenden Frauen gedreht: „Die Frauen der Enghelab-Straße“ heißt er, am Mittwoch hätte er im Überseemuseum gezeigt werden sollen, aber jetzt ist das geschlossen, der Termin verschoben. Im Film gehe es „um mutige Frauen, die um ihre Identität und für Frauenrechte kämpfen“, sagt Azizi Ashtarkan. „Diese Frauen legen ihren Hijab ab, um zu rebellieren.“ Schon bevor er 2019 diesen Film mit Hilfe des Filmbüros Bremen realisiert hat, hat eine Auseinandersetzung mit Themen, die die Regierung im Iran lieber nicht in der Öffentlichkeit diskutieren würde, es ihm 2015 unmöglich gemacht, in seinem Heimatland zu leben.

Azizi Ashtarkan ist 36 Jahre alt. Bevor er 2015 nach Bremen kam, hat er im Iran Theaterwissenschaften studiert. Als er für den Dreh seines Kurzfilms „Humans die standing“ eine Drehgenehmigung der iranischen Behörden braucht, bekommt er Schwierigkeiten. „Ich habe dann einen Brief von der Polizei bekommen, dass ich ein paar Erklärungen zu meinem Antrag abgeben solle.“ Er sei nie dort aufgetaucht. Stattdessen verließ er das Land. Zu groß wäre die Gefahr gewesen, der Aufforderung der Behörden nachzukommen.

„Es gab zwei mögliche Situationen: Sie stecken mich direkt ins Gefängnis oder, wenn ich Glück gehabt hätte, wäre ich davongekommen, hätte aber nie wieder Filme drehen können.“ Das sei beides keine Option gewesen für den Filmemacher. Er floh über die Türkei nach Deutschland. Seine Familie bleibt zurück.

Den Kurzfilm dreht er dann in Deutschland. Gegenstand seines nächsten Films „Die Frauen der Enghelab Straße“ ist der Protest der Frauen im Iran, der sich gegen die Unterdrückung durch das Regime wehren, indem sie ihren Hijab ablegen. Angestoßen hat die Bewegung die junge Frau auf dem Verteilerkasten. Mohsen Azizi Ashtarkans Film besteht zum großen Teil aus Videos, die Frauen im Iran selbst heimlich gefilmt und ins Netz gestellt haben. Sie dokumentieren damit die Gewalt, die von der Polizei oder konservativen Glaubenswächtern gegen iranische Frauen verübt wird.

„Wir haben immer gegen Frauen gekämpft, immer gekämpft“

Mohsen Azizi Ashtarkan, Regisseur, über seinen Zwangs-Militärdienst im Iran

„Im Iran muss jeder Mann zwei Jahre Militärdienst leisten“, sagt Azizi Ashtarkan. Er habe diesen Dienst auch angetreten. Teil seiner Aufgabe als Soldat war es dann aber, die Polizei bei ihrer Arbeit zu unterstützen, die im großen Teil daraus bestand, rebellierende Frauen festzunehmen, die es gewagt hatten, ihren Hijab in der Öffentlichkeit zu lüften oder gar abzunehmen. „Wir haben immer gegen Frauen gekämpft, immer gekämpft“, sagt er. „Ich habe davon Alpträume bekommen.“ Immer, wenn Frauen sich nach Freiheit sehnten, habe er sich gegen sie stellen müssen. „Das war schrecklich.“ Er habe nicht mehr gegen diese Frauen kämpfen wollen, die doch nichts anderes forderten als Gerechtigkeit.

In seinem Film gibt Azizi Ashtarkan aber nicht nur die aktuelle Lage wieder. Er ordnet das Geschehen und die Proteste der Frauen zusätzlich in den historischen Kontext ein. „Es ist wichtig zu wissen, wie es sich im Iran entwickelt hat“, sagt er. Und tatsächlich ist die Geschichte der Kleiderordnung der Frau im Iran ein einziges Hin und Her: Zunächst, unter der Regierung durch Reza Schah Pahlavi, herrschte seit 1937 ein Kopftuch-Verbot. Als dann Pahlavis Sohn Mohammad Reza Pahlavi an die Macht kam, ließ er das Verbot aufheben. Jede konnte daraufhin tragen, was sie wollte. Seit 1979 besteht nun die Islamische Republik Iran, in der es jetzt einen allgemeinen Kopftuch-Zwang gibt. Überall muss frau seitdem Kopftuch tragen. Sogar Touristinnen sind angehalten, ihr Haar zumindest mit einem lockeren Tuch zu bedecken, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen. Legt eine Frau das Kopftuch aber öffentlich ab, drohen ihr unverhältnismäßig hohe Gefängnisstrafen von mehreren Jahren.

Das Phänomen, dass sich Frauen mit Protest gegen den Zwang wehren, ist zwar noch kein Massenphänomen, durch die sozialen Medien werden Videos und Bilder der starken Heldinnen aber tausendfach geteilt. Und auch viele Männer solidarisieren sich mit der Bewegung. Auch zu sehen in Azizi Ashtarkans Film sind Bilder von Männern, die Kopftuch tragen, um ebenfalls auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, unter denen so viele Frauen leiden.

Mohsen Azizi Ashtarkan wird vorerst nicht in den Iran zurückkehren können. Auch sein Film wird so bald nicht in seinem Heimatland gezeigt werden. Er werde ihn aber auf YouTube hochladen, damit er für jede*n zugänglich sei. In drei Sprachen – Persisch, Englisch und Deutsch – werde er erscheinen. Er wolle diese Frauen, diese Heldinnen unterstützen. „Mein Film ist wichtig für den Prozess“, sagt er. „Ich muss den Frauen helfen und diesen Prozess unterstützen.“

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