Auf den Spuren der Revolution

DOKUMENTATION In Hans-Peter Weymars Doku „Sueños Cubanos“ erzählen Kubaner von der Revolution – ohne jeglichen Kommentar

Auch vor der Kamera machen KubanerInnen es gern: Analysieren, kritisieren, Position beziehen

VON GASTON KIRSCHE

Vor 50 Jahren besiegten die Revolutionäre auf Kuba das Regime des Diktators Batista. Konsequent und radikal ging der Umbruch voran, hin zu sozialen Rechten für die arme Bevölkerungsmehrheit, weg von Privilegien und Analphabetismus, kapitalistischer Ausbeutung und rassistischer Diskriminierung.

Hiesige Kubanologen orakeln gern, wann Schluss ist mit dem karibischen Sozialismus. Hans-Peter Weymar hat für seine Dokumentation „Sueños Cubanos – Kubanische Träume“ einen ganz anderen Zugang gewählt: Aus 80 Stunden Rohmaterial ist ein reiner O-Ton-Film entstanden – ohne jeglichen Kommentar. 94 Minuten lang ist zu sehen, was KubanerInnen auch vor der Kamera gern machen: Analysieren, kritisieren, Position beziehen gegenüber der Regierung, der Welt, dem Reispreis, dem Mangel an Zement und worüber sich sonst noch diskutieren lässt. Ab und an wird aber auch Musik gemacht und gesungen – dreimal wird Carlos Pueblas Klassiker „Comandante Che Guevara“ angestimmt.

Wellen schlagen zu Beginn des Filmes über den Malecón, die legendäre Uferpromenade von La Habana. Der Hurrikan Ike dreht sich auf die Insel zu, wird in abgefilmten TV-Nachrichten erklärt. „Wir helfen uns gegenseitig“, erklärt ein älterer Mann, während NachbarInnen gemeinsam Fenster abdecken, Möbel reintragen. „Anders als auf Haiti gibt es bei uns eine staatliche Hurrikan-Vorsorge, wer gefährdet ist, wird evakuiert.“ Kuba wurde im Herbst 2008 von drei Hurrikans verwüstet, aber anders als auf der Nachbarinsel Haiti gab es nur vereinzelt Tote.

Ortswechsel: Sierra Maestra. Ein alter Bergbauer erzählt, wie elend das Leben vor der Revolution gewesen sei: Neun Tage nach seiner Geburt ist seine Mutter gestorben, weil sich die Familie keine gesundheitliche Versorgung leisten konnte. Die Älteren, sie können vergleichen, wissen noch wie es vor der Revolution war. Und können glaubwürdig das Erreichte loben. Etwa, dass es heute überall, auch auf dem Land, Schulen gibt – und in keiner Klasse mehr als 20 SchülerInnen, wie eine Lehrerin in einem abgelegenen Dorf erzählt. Der gefilmte Unterricht wirkt unspektakulär, alltäglich. Der Umgang ist freundlich, die Kinder sind bei der Sache. In Cienfuegos und in Santiago erklären Frauen in anderen Interviews beinahe beiläufig, wie gut es sei, dass die Kinder sicher und geschützt seien und sich frei bewegen könnten. Keine Selbstverständlichkeit in Lateinamerika, wo Straßenkinder in vielen Ländern von Polizei und Armee einfach umgebracht werden.

Einige, die Weymar interviewt hat, machen Kunst. So erklärt ein junger Maler wortreich, warum er auf seinen Bildern Marylin Monroe und Che Guevara zusammen malt und erklärt seine Theorie der Dualität. José Fuster ist zu sehen wie er in La Habana eine Skulpturengruppe kreiert: Menschen im Kreis, die sich an den Händen fassen. Für einen Park ist das gedacht, soll Solidarität heißen, oder einfach: Leute. Um die Ecke liegt das Haus des Familienarztes, die kubanische Bezeichnung für eine Hausarztpraxis, die für eine Nachbarschaft zuständig ist. Fuster hat die Fassade im Stil von Antonio Gaudí mit einem Mosaik aus Keramikscherben gestaltet. Nicht der Kunstvermarktung wegen, sondern zur Gestaltung der Nachbarschaft. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Menschen zutrauen, Kunst zu machen, auch dies ist eine Errungenschaft der Revolution.

■ Do, 8. 10. und Fr, 9. 10. um 17 Uhr; Do, 29. 10. bis So, 1. 11. um 19 Uhr, 3001, Schanzenstr. 75 (im Hof)