piwik no script img

Animation und Reanimation

Die Puppenspielerin Veronika Thieme erzählt in „Sense“ mit einem Skelett vom Tod und holt sich dabei Unterstützung von echten Begräbnismusiker*innen. Die können auch einiges aus dem realen Traueralltag erzählen

Von Tom Mustroph

„Dort, wo ich bin, ist der Tod nicht. Und wo der Tod nicht ist, bin auch ich nicht mehr. Warum soll ich also Angst vor dem Tod haben?“ So lautete in den 50er Jahren ein Spruch in den Gassen Neapels, der sich bis heute erhalten hat. Er könnte auch als Motto über „Sense“ stehen, der neuen Produktion der Regisseurin Tilla Kratochwil und der Spielerin Veronika Thieme, die in der Berliner Schaubude Premiere hatte.

Auch bei „Sense“ ist der Tod weitgehend jedes Schreckens entkleidet. Denn der Blick kommt nicht von den gewöhnlich furchtsamen Lebenden, sondern geht von einer Toten aus. Thieme animiert über weite Strecken des Abends ein Totengerippe mit kahlem Schädel. Das führt zu manchem Wortwitz. Die Totenfigur wird von der Spielerin nicht nur animiert, sondern gleich reanimiert.

Vor allem aber ist Totsein der Alltag. Von dort aus wird sich zuweilen an das ferne Leben vor dem Tod erinnert. Der Totenschädel erzählt von den Ereignissen, die ihn zu einem solchen werden ließen: Verkehrsunfall oder Krebserkrankung. Auch das Business rings um das Sterben und dessen bürokratische Vor-, Auf- und Nachbereitung findet seinen Platz.

Von Vorsorge- und Betreungsvollmacht berichtet Thieme dann. Wohnungsauflösung und die Entsorgung von Krimskram, ist ebenfalls ein Thema. Desgleichen die Abwertung, die Dinge erleiden, die der Erinnerungen, die mit ihnen verknüpft waren, verlustig gingen, weil die Person, die diese Erinnerungen in sich trug, eben nicht mehr da ist.

Eingestreut zwischen die einzelnen Szenen sind Musikeinlagen vom Duo Miosotis. Das verdient sein Geld sonst vornehmlich auf Friedhöfen, bei der musikalischen Begleitung von Beerdigungen. Der Soundtrack, den die Akkordeonistin und Sängerin Isabel Neuenfeldt und der Violinist Giovanni Reber einbringen, ist von der Auswahl her so vielfältig und zuweilen bizarr, wie die Wünsche von Trauergemeinden eben sein können. Von Kirchenliedern über Volksmusik bis Chanson, Pop und Rock reicht die Palette. Das zerfasert den Abend leider. Die Songs werden zur Hauptsache, das Puppenspiel zum Zwischenspiel.

Ein Höhepunkt ist dann allerdings, wenn Neuenfeldt das Akkordeon einmal beiseitelegt und von den Beerdigungen, auf denen sie weilte, zu erzählen beginnt. Die Problemlage von Patchworkfamilien wird da deutlich. Wenn alle Frauen eines dreimal verheirateten Verstorbenen am Grabe stehen: Wer darf dann zuerst an die Kante treten? Wenn ein Toter gleich doppelt liiert war, einmal mit Kind in Berlin-Reinickendorf, ein weiteres Mal ebenfalls mit Kind in Thailand: Wer hat dann das erste Witwenrecht bei der Zeremonie? Und was ist, wenn eine Mutter sich nach dem Ableben ihres Ehemanns in ihren letzten Lebensjahren noch einmal liiert hat, die vier Kinder den Partner der Mutter aber vielleicht gar nicht richtig kennen und ihn auf die letzte Reihe des Kirchengestühls verbannen?

Die Songs werden zur Hauptsache, das Puppenspiel zum Zwischenspiel

In solchen Geschichten liegt großes Potenzial. Kratochwil und Thieme heben es leider nur teilweise. Die Stränge von Musik und Begräbniserzählung einerseits und Puppenspiel andererseits bleiben meist separat. Sie sind nicht miteinander verknüpft, machen kaum Resonanzräume auf. Erst am Ende bewegt Thieme ein wenig die eindrucksvolle Gerippepuppe (Puppenbau: Ulricke Langenbein), während an der Rampe musiziert wird.

Das recht rumplige Bühnenbild – ein paar Holzkisten, ein ästhetisch gar nicht dazu passender Tisch sowie ein schwarzer Vorhang, der erst am Ende geöffnet wird – ist alles andere als ein Augenschmaus. Weil die Bühne meist komplett ausgeleuchtet ist, ergeben sich auch selten differenzierte Stimmungen. Zur Premiere Anfang März wirkte die Produktion überraschend unfertig.

Das ist schade. Denn das Thema ist gut. Und die Zusammenarbeit mit den Begräbnismusiker*innen stellt auch konzeptionell einen interessanten Ansatz dar.

Auch die Schaubude stellt bis 19.4. ihren Betrieb ein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen