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Herzlichen Glückwunsch, Andi!

Die Bull-Analyse oder warum es sich lohnt, für die taz hart zu arbeiten

Foto: Isabel Lott

Von Wilhelm Vogelpohl

Regelbrüche sind erlaubt, dieser hier beispielsweise: Aus Anlass des 65. Geburtstages von taz-Geschäftsführer Andreas Bull erscheint diese Bull-Analyse ausnahmsweise an einem Donnerstag. AbonnentInnen und andere StammleserInnen der taz kennen die Bull-Analyse seit fast 20 Jahren. Unerreicht ist die Mischung aus lakonisch dargebrachten Fakten zur Lage unserer taz nebst eindringlichem Appell, fundiert durch die Verbindung von historisch-kritisch hergeleiteter Analyse und dem wider alle menschliche Erfahrung gefestigten Glauben an die mit kritischer Vernunft gesegnete Menschheit.

Er ist einer, der immer wieder Anlauf nimmt, und zwar so lange, bis es irgendwann klappt

„Andi“ Bull ist seit 1992 ordentlicher Geschäftsführer, vor allem aber ein unverbesserlicher Überzeugungstäter und -schreiber, ein nicht zur Ruhe kommen wollender Workaholic, ein Welterklärer und Rationalist. Dass er Kampfsportler ist, hilft dabei ungemein – weniger als Technik zur Durchsetzung der Unternehmensziele, sondern vielmehr als Fundament für Frusttoleranz und allgemeine Resilienz, wie sie im taz-Betrieb an beinah allen Stellen des Hauses nötig ist. Auch und gerade in der Geschäftsführung: Andi Bull kennt alle Mitarbeiter*innen und gibt, wenn’s sein muss, auch kompetent den Haustechniker. Er ist einer, der immer wieder Anlauf nimmt, und zwar so lange, bis es irgendwann klappt, einer, der nicht aufhört, mit Menschen zu reden, auch wenn die schon längst nicht mehr erreichbar scheinen, ein Kollege, der Ideen fern aller Realisierungschancen hat und sich freut, wenn eine von zehn doch umgesetzt wird, der Chancen sieht, die man ergreifen muss, und der im Zweifel am liebsten den steinigen Weg geht, weil einer muss es ja tun, und der auch mal den harten Hund rauslässt, denn selbst in der taz ist das manchmal nötig.

Ein kurzer Blick zurück in unsere taz-Geschichte: Die Mauer fällt im November 1989, im Februar 1990 gründet sich unter Mithilfe des damals noch „Mitarbeiter in der Geschäftsführung“ betitelten Bull die Ost-taz, um nur ein Jahr später wieder abgewickelt zu werden. Der größte Gewinn für die taz in dieser Zeit: die Gründung der taz-Genossenschaft. In der ersten Bull-Analyse vom 18. April 1992 stellt Bull komplexe Dinge komplex dar, aber es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht doch auch verständlich ginge: „Um eine Rarität reicher:  Wie die taz als Konsum-Genossenschaft funktioniert und das Geld der Anleger investiert“, heißt es in der Überschrift. Dann kam die erste Rettungskampagne, die niemand die erste nannte, weil man nicht wusste, dass noch viele kommen würden.

Foto: 2018 Foto: Wolfgang Borrs

2015 schreibt Bull über die Preisdifferenzierung beim taz-Abo: „Jene, die es sich leisten können, finanzieren mit der freiwilligen Wahl einer höheren Preisgruppe den ermäßigten Abo-Preis für LeserInnen mit geringerem Einkommen.“ Klar, oder? Bulls große Kunst besteht darin, diesen Satz immer wieder so in vernünftige anlass- und kontextbezogene Zusammenhänge zu stellen, dass er 20 Jahre lang wie selbstverständlich und zwangsläufig aufgenommen wird.

Eigentlich sind die Bull-Analysen fortgesetzte Unverschämtheiten, Betteleien, moralische Drangsalierungen und ethische Zumutungen, dabei im Kern doch nur die Einforderung des für die taz existenziell Notwendigen: Unabhängiger Journalismus ist nicht umsonst zu haben, ohne die LeserInnen und ihre Beiträge kann es keine taz geben. Oder wie es in einer Analyse aus dem Februar 2016 heißt: „Ein gutes Geschäft war die taz nie. Ihr Gründungsmotiv war nicht kommerziell, sondern bestand im Engagement der Vielen, unabhängige journalistische Publizistik gegen die Selbstverständlichkeiten des Mainstreams zu ermöglichen. Heute sagt man dazu Crowdfunding durch Community. Mittlerweile sind bald 16.000 von den taz-LeserInnen als Mitglieder der taz-Genossenschaft die EigentümerInnen der Zeitung.“

Foto: 1995 Foto: Elke Hütten

Nach der ersten Rettungskampagne von 1992 gab es noch weitere Mobilisierungskampagnen, die taz stellte die Vertrauensfrage oder erpresste die Lesenden, um schließlich zum apodiktischen „taz muss sein“ zu kommen. Irgendwann in den 2000er Jahren hatte das taz-Retten dann ein Ende, und wir stellten fest: „taz ist wahrer Luxus.“ Unsere Strategie wurde feiner, die Stimmung besser, trotzdem sich das Ende des Zeitungsgeschäftes schon deutlich abzeichnete.

Es schien, als habe der Analyst darauf von Anfang an gesetzt, denn die erste – auch so betitelte – Bull-Analyse beginnt so: „Rund 72 Prozent der Umsatzerlöse erzielt die taz aus den Abonnements. Davon lebt die taz im Wesentlichen. Dennoch gibt es auch immer wieder Anlass, die Aufmerksamkeit auf die verbleibenden 28 Prozent zu lenken.“

Foto: 2005 Foto: Nino Rezende

Nun, die Zahlen haben sich verschoben, aber der Gedanke, dass die taz die Grundlage ihrer publizistischen Aktivitäten verbreitert, treibt unseren Autor an. Je vielschichtiger die Vertriebs- und Erlösstruktur der taz, je diverser die taz-öffentlichen Ansprachen und je deutlicher die Herausforderungen der digitalen Transformation, desto mehr Optimismus scheint auf, desto deutlicher zeigen die entscheidenden Kurven nach oben, als zeigten sie ein harmonisch wogendes Meer von publizistischen Blütenständen.

Foto: 1997 Foto: Wolfgang Borrs

Die vorerst letzte der großen Herausforderungen stellt das neue taz-Haus dar. Als Bauherr versteht Bull das Haus wie sonst vielleicht nur die Architekten, er erklärt nichts lieber als die adiabatische Kühlung auf dem Dach und die über zwei Kellergeschosse sich erstreckende Technikzentrale.

Noch nie so viele Menschen wir heute haben für taz-Inhalte gezahlt. Die Zahlen der Gegenwart versprechen eine vielleicht nicht alles überstrahlende, aber doch stabile Zukunft für unseren unabhängigen Journalismus. Doch Bull gab sich noch nie mit einfachen und Erklärungen zufrieden, weiß er doch um die Fragilität, wenn nicht sogar die Grenzen kapitalistischen Wirtschaftens. Heute erscheint die Kurve aller Kurven ohne Zahlen, die Richtung stimmt. Und das ist gut. Und nicht schlecht. Ihm nichts als einen herzlichen Glückwunsch!

Willi Vogelpohl arbeitet gerne und erfolgreich mit Andreas Bull zusammen.

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