Ausgehen und rumstehen von Jenni Zylka: Polaroids von der Kleinfamilie und Sex in Zeiten von Corona
Der Freitag beginnt mit Kunst, herrlich: Die Fotografin Linda McCartney hatte – neben ihren Musiker*innenporträts und Plattencovern – anscheinend ungefähr 1.000.000 Polaroidfotos geschossen, einen großen Teil davon zeigt nun die C/O Galerie. Und Gatte Paul, von dem man tatsächlich schon jedes Barthaar, jede Bassseite und jeden Gesichtsausdruck gesehen zu haben glaubte, gibt ein dankbares Motiv ab, denn er ist ein Bajazzo vor dem Herrn. Auf den meisten der kleinen, sorgsam gerahmten Dokumentationen macht er Faxen, hat sich eine Papiertüte aufgesetzt, grimassiert neben George Harrison und George Martin in seine Kaffeetasse, rennt mit Stella auf den Schultern durch die vollgestellte Siebziger-Jahre-Küche, krault den Köter (Arrow, Tochter der legendären Bobtaildame Martha, wie wir Beatles-Nerds selbstverständlich wissen).
Die Bilder, denen der gestalterische Wille sogar im Miniformat deutlich anzusehen ist – immer wieder arbeitet McCartney mit dem Material, doppelbelichtet, kratzt auf der Oberfläche herum – fügen sich zu einem privaten Zeitporträt zusammen. Die McCartneys scheinen damals angenehm uneitel gewesen zu sein.
Freitagabend holt mich das Virus ein, jedenfalls verbal: Das mit den Sexpartys wird an diesem Wochenende etwas kompliziert, diskutieren die queeren Freund*innen. Man sitzt in einer Neuköllner Homobar, und sie sind unsicher: Sollen sie noch in den KitKatclub gehen oder nicht? Aber was ist mit dem Nicht-Ansteck-Pakt? Umringt von Bildschirmen mit Pornoloops (besonders drollig: zwei Männer mit verbundenen Augen benutzen einen Doppeldildo Hintern an Hintern – das wäre doch vielleicht eine Idee für eine Samstagabendshow namens „Wessen Arsch ist das“? oder, noch besser, „Erkennen Sie den Arsch!“), gestaltet sich die Liebe in Zeiten von Corona schwierig, der Sex erst recht. Wo sollen die ganzen Tourist*innen denn jetzt hin mit ihrer Kontaktfreude?
Am Samstag gehe ich zu „Reverb Rampage“, einem Surffestival in der hübschen „Glühlampe“ hinter dem Bahnhof Warschauer Straße, und bin hocherfreut, dass das alte, nicht auszumerzende Surf-Problem (nach spätestens vier Stücken wird’s langweilig) extrem kreativ angegangen wird: Der Topact, die seit Jahrzehnten existierende Bielefelder Band The Astronauts, tritt in selbstgemachten Astronautenanzügen und selbstgeklebten, silbernen Styroporhelmen auf, deren Visiere Gitter sind. Durch diese Gitter gießen die Mitglieder sich in gefährlich kurzen Abständen literweise Dosenbier in den Rachen und spucken Bierfontänen ins Publikum – so dreckig war ich seit den matschigen Mehl-Orgien von King Kurt nicht mehr!
Die Band ist ratzfatz haubitzenvoll und stolpert selig auf der Bühne herum. Am besten ist der Bassist, dessen Helm sich beim Spielen von allein zur Seite dreht und ihn somit blind macht. Den Helm zurückdrehen kann er nicht, denn die Bassläufe sind zu kompliziert. Was umso beeindruckender ist – wenn man schon blind und stockbesoffen so spielt, wie spielt man dann wohl nüchtern? Wahrscheinlich schlechter.
Aber auch im Publikum gibt es großes Hallo und scharfe Frisuren. Einer sieht aus wie der tolle Pete Postlethwaite und präsentiert die einzig honette Art und Weise für einen Mann, einen Zopf zu tragen: Seine schlohweißen Haare sind vorn Rockybilly-Tolle und hinten Pferdeschwanz, allerdings ein glatter, glänzender, perfekt fallender, kein dämlicher „Undone“-Zopf der GenY oder scheußlicher „Manbun“. Eine andere hat außer ihrem Zopf eine einzige einsame Dreadlocke am Kopf und sieht damit aus wie ein fragwürdiger Rastafari-Padawan. Denn das muss man diesen feinen Menschen lassen: Mut haben sie.
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