: Buddhas exakter Geburtsort
NEPAL 1896 wurde Lumbini von britischen Kolonialbeamten wiederentdeckt. Touristische Neugierde und religiöse Suche liegen dort nah beieinander
VON KLEMENS LUDWIG
Es geht hektisch zu auf den Straßen von Nepal, auch auf dem Weg nach Süden, Richtung Indien. Hupkonzerte, Staus, Kleinvieh, das unvermittelt die Straße überquert. Von der Hauptroute biegt eine Straße ab, der Verkehr wird ruhiger und endet am Tor in eine exotische Grünanlage.
Wir befinden uns in Lumbini. Hier wurde vor etwa zweieinhalbtausend Jahren der Prinz Siddharta Gautama geboren, der zum Buddha geworden ist. Eigentlich heißt der Ort heute Rummindai, doch selbst den meisten Nepalesen ist das kein Begriff. Lumbini jedoch kennt fast jeder in Nepal; auch viele Hinduisten, die mit über 80 Prozent der Bevölkerung die Mehrheit stellen, sind stolz auf dieses Erbe.
Im Zentrum der Anlage befindet sich ein bescheidener alter Palast aus rotem Backstein mit einem kleinen Teich davor. In ihm soll die Mutter des Prinzen, die Fürstin Maya, der Überlieferung zufolge vor der Geburt ein letztes Bad genommen haben. Sie befand sich auf dem Weg zu ihren Eltern, um dort zu gebären, doch in Lumbini setzten die Wehen ein. Gesäumt wird der Komplex von mächtigen Bodhibäumen, zu Deutsch Pappelfeigen, ein wichtiges Symbol des Buddhismus, denn unter einem solchen Baum soll Gautama erleuchtet worden sein.
Auch heute üben die Bodhibäume eine große Anziehungskraft auf Menschen aus, die spirituell auf der Suche sind. Die Stämme sind von unzähligen Gebetsfahnen umwickelt, an vielen Stellen sind kleine Altäre angebracht, oder es brennen Räucherstäbchen.
Das eigentliche Ziel ist jedoch das Innere des Backsteinpalastes. Er wirkt wie eine archäologische Ausgrabungsstätte, doch das stört niemanden. Zielstrebig steuern die Besucher die Mitte an, wo ein Schild über einer Einlassung im Boden verkündet: „Der genaue Geburtsort von Buddha“.
Es sind keine Massen, die den Weg hierhin finden; der Rummel ist nicht vergleichbar mit den Geburtsorten anderer Religionsstifter, doch es werden allmählich mehr. Und wie in Bethlehem oder Mekka lässt sich kaum auseinanderhalten, was Glaube und was historisch gesichert ist. In den ersten Jahrhunderten des Buddhismus war Lumbini ein wichtiges Pilgerziel für Menschen aus ganz Asien.
Von dem Erleuchteten selbst ist die Einschätzung überliefert: „Wenn ich nicht mehr bin, werden Gläubige diesen Ort, wo ich geboren wurde, voller Vertrauen, Neugierde und Hingabe besuchen.“ Dass er damit zunächst recht behielt, bezeugt unter anderem die Ashoka-Säule, die von dem indischen König Ashoka gestiftet wurde. Er hat dem Buddhismus im dritten nachchristlichen Jahrhundert zu seiner größten Blüte verholfen. Aus der Inschrift der Säule geht hervor, dass Ashoka im 20. Jahr seiner Regentschaft nach Lumbini gepilgert ist, um Buddha die Ehre zu erweisen. Dabei befreite er die Bewohner des Dorfs von Steuern und Abgaben. Mit der Zeit geriet Lumbini jedoch in Vergessenheit, und die Buddhisten pilgerten vor allem zu den Stätten in Indien, in denen ihr Stifter die Erleuchtung erlangt und gepredigt hatte. Erst 1896 wurde Lumbini von britischen Kolonialbeamten wiederentdeckt, doch es dauerte immer noch Jahrzehnte, bis die historische Bedeutung des Ortes auch in Nepal geschätzt wurde.
„Nepal ist sehr stolz auf Lord Buddha. Wann immer Inder behaupten, Lord Buddha stamme aus Indien, wenden sich die Nepalesen vehement dagegen. Lord Buddha wurde in Nepal geboren, er war Nepalese, heißt es einhellig“, so beschreibt Karma Samdup, ein tibetischer Flüchtling, die heutige Stimmung.
Dass es zu dieser Wertschätzung kam, ist der Nachhilfe aus dem buddhistischen Birma zu verdanken. Der Birmese U Thant war in den 1960er Jahren Generalsekretär der Vereinten Nationen. Während einer Staatsvisite 1967 besuchte er auch Lumbini. Anschließend überzeugte er König Mahendra und die nepalesische Regierung, der Geburtsstätte Buddhas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. U Thants Besuch war in gewisser Weise die Wiederentdeckung Lumbinis.
Der Weg vom Tor zu dem alten Palast führt an ausladenden Verkaufsständen mit Buddha-Figuren jeder Größe vorbei, Thangkas – religiösen Rollbildern – und Malas, buddhistischen Rosenkränzen. Zu dem Komplex zählt eine Parkanlage mit zahlreichen archäologischen Funden, deren älteste bis in die Zeit vor Buddhas Geburt zurückdatiert werden.
Der Park geht in einen geräumigen Tempelkomplex über. Etwa fünfzig Tempel wurden in den letzten Jahren errichtet, manche befinden sich noch im Bau. Jedem Land, in dem buddhistische Gemeinschaften leben, egal ob als Mehrheit oder Minderheit, steht ein Tempel zu. Deutschland ist mit einem eindrucksvollen Lotus-Stupa vertreten. Zu den Tempeln gehören auch Gebetsräume und Meditationsklausen, denn die Renaissance des Buddhismus an Buddhas Geburtsort beschränkt sich nicht auf die äußere Ebene. „Ich bin nicht in erster Linie hierhergekommen, um einmal dort zu stehen, wo Buddha geboren wurde, sondern um an diesem besonderen Ort zu meditieren und zu lernen“, meint Sarah aus Australien.
Viele Besucher aus der buddhistischen Diaspora verweilen länger, während Koreaner, Japaner oder Taiwaner nur wenige Stunden bleiben, die wichtigsten Punkte abhaken und mit ihren klimatisierten Kleinbussen das nächste Ziel ansteuern.