piwik no script img

Sizilianische Nächte auf Eis

Am Leibnizplatz streicht Patricia Benecke Shakespeares „Wintermärchen“ zur kompakten Inhaltsangabe zusammen – die sie mit leiser Eleganz sympathisch zum Klingen bringt

Unter der Maske: der gefräßige König von Böhmen Foto: Marianne Menke/BSC

Von Jens Fischer

D ie frostige Anmutung einer weißen Welt: Was uns der Klimawandel genommen hat, damit beschenkt uns die Bremer Shakespeare Company (BSC): Präsentiert wird des Hausgottes Winter- als Eismärchen. Auf einem gefühlskalten Sizilien spielt es, aber zum Finale grünt das Leben noch zu mediterraner Lieblichkeit durch. Das in 18 Rollen agierende Spielerquartett säuselt im Theater am Leibnizplatz daher erst mal kühl gehauchte Liebeslyrik in den Raum, klöppelt hagelig xylophonierte Melodien oder bibbernde Glasmusik. Schneeeulenweiß sind alle Darsteller gewandet, die Bühne ist grell plastikweiß grundiert und mit Waschmittelwerbungs-weiß von der Decke hängenden Tüchern transparent strukturiert. Heike Neugebauers Ausstattung verleiht dem Geschehen eine sanft verwehte Leichtigkeit. Konterkariert wird so eine für BSC-Verhältnisse streng formalisierte Inszenierung, mit der Patricia Benecke den dramatischen Wechsel von Tragödie, Komödie, Romanze, Schäferspiel wie auch symbolischem Spiel einebnet und die Vorlage auf eine kompakte Inhaltsangabe zusammenstreicht.

Petra-Janina Schultz spielt nicht nur alle wichtigen Frauenrollen des Werks, sondern schlendert auch als Erzählerin durch den Szenenreigen. Eine eisklare Sprechkultur und sachliche Strahlkraft kommen ihrer Fabulierlust zugute. Simon Elias und Markus Seuss können sprachlich mithalten, agieren aber typenpraller. Tim D. Lees bollerige Art bringt die leise Eleganz der Aufführung allerdings immer wieder an den Rand des Einsturzes.

Weil im Märchen die Menschen manchmal fabelhafte Tiere sind, agieren alle vier Mimen auch mal unter einer Maske. Polixenes, der König Böhmens, beispielsweise trägt einen Wolfs- oder Fuchskopf. Warum? Weil er Frischfleisch erbeuten will. Nämlich Hermione, Königin von Sizilien. Das meint jedenfalls ihr Gatte Leontes. Wie er darauf kommt? Das hat schon Shakespeare deutlich schwächer ausgearbeitet als im „Othello“ die Genese des Zweifels an Desdemonas Treue. Im „Wintermärchen“ will Polixenes den Besuch beim sizilianischen Kollegen Leontes beenden, was dieser vergeblich zu verhindern versucht, seiner Gattin aber gelingt. Potz Blitz toben Vermutungen durch Leontes Hirn, dass da ein Seitensprung im Werden ist. Mit flatternder Brust hört er überall seufzendes Röhren. Wittert Unzucht in jedem Blick und lügt sich immer neue Indizien herbei. So der Welt zunehmend entrückt wird er verrückt. Sieht rot. Und stöhnt: „Zu heiß.“ Während Petra-Janina Schultz in der Bühnenmitte hockt und stumm staunt, wie das Gift des Verdachts seine Eigendynamik entfaltet. Leontes verdammt seinen langjährigen Freund, sperrt die Gattin ins Gefängnis und lässt ihr Neugeborenes an fernen Gestaden aussetzen, weil es angeblich ein Kuckucksei war.

Wohltemperiert gibt Markus Seuss die einsam machende Raserei. Es geht also unmissverständlich kritisch um Eifersucht. Einen guten Ruf hat die Naturgewalt ja tatsächlich nicht, da sie Grenzen des zivilen Verhaltens sprengt. Als Geiz der Liebe wurde sie einst zum Produkt patriarchaler Gesellschaften erklärt, damit ihr Fehlen in der offenen Zweierbeziehung zum Beweis werden konnte, wie sehr man jemanden liebt und zu teilen bereit ist.

Einen guten Ruf hat die Naturgewalt ja tatsächlich nicht, da sie Grenzen des zivilen Verhaltens sprengt

Laut Sigmund Freud sind wir eifersüchtig, wenn uns jemand etwas wegnehmen könnte. Ein ganz allgemein menschliches Gefühl also, aus dem aber schnell ein explosiver Cocktail gemixt werden kann: Verlustängste treffen auf Panik, Trauer, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsanwandlungen. Wenn die normale Eifersucht derart aufgeputscht in krankhafte Wut übergeht, ist das ein schleichender Prozess. Den aber zeigt Leontes nicht. In dieser Inszenierung ist Eifersucht keine Entwicklung, sondern eine Setzung. Komödienmechanik mit tragischen Folgen. Leontes erscheint nicht als differenziert entwickelte Figur, muss stattdessen Exempel sein. Aber was soll diese Aufführung, wenn in sehr schön abgezirkelten Gängen, austarierten Gesten, vorsichtig emotionalisierten Artikulationen keine zeitgemäß tiefenpsychologische Auseinandersetzung mit dem gewählten Thema, sondern nur lustiges Ausstellen eines zeitlosen Phänomens gewollt ist?

Das beantwortet Teil zwei nach der Pause. Etwas munterer, aber mit nie nachlassender Klarheit ist zu sehen, wie das 16 Jahre lang in Schäferobhut herangewachsene Findelkind Perdita aus dem sizilianischen Königshaus mit dem untergetauchten Sohn des Polixenes turtelt. Von diesem entdeckt raufen sich alle zusammen und breiten die ganze Problemlage noch einmal vor Leontes aus, der inzwischen all seine Schuld reumütig eingesehen hat und vergessen, vergeben, sich läutern will. Also auf zur Happy-End-Botschaft. Okay, ein treuer Diener des Leontes ist beim Außer-Landes-Schaffen des Babys von einem Bären gefressen worden, des Königs ältester Sohn aus Gram gestorben, aber davon abgesehen sind nun alle Getrennten wieder fidel vereint, Gefühle endlich unter Kontrolle und die Welt zurück im Lot.

„Es war einmal. Ich war. Ich bin“, sagt Schultz. Könnte nun als die soeben aus der Versteinerung reanimierte Hermione oder die ihrer Herkunft bewusst gewordene Perdita den großen Moment des Verzeihens initiieren. Einfach den Realismus außen vor lassen und behaupten, Zeit fließt, hüpft und kriecht nicht nur, sie ist umkehrbar und heilt alle Wunden. Aber die Inszenierung bricht einfach ab. Entlässt die Zuschauer mit ihrer Sehnsucht auf die zweite Chance im Leben. In diesem beiläufigen, manchmal auch monotonen Erzähltheater reicht das zwar nicht zur kathartischen Erlösung. Sympathisch ist Beneckes ästhetische Fingerübung aber allemal – nur leider kein großer Shakespeare-Abend.

Wieder am 21. 3. und 23. 4. um 19.30 Uhr sowie am 3. 5. um 18 Uhr, Theater am Leibnizplatz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen