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„Man unterschätztdas Publikum“

Mit dem Preismodell, für die Verweildauer im Museum zu zahlen, hat die Weserburg für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Jetzt geht das Pilotprojekt in die zweite Phase

Interview Jan-Paul Koopmann

taz: Herr Schößler, in der Weserburg waren alle zufrieden mit dem Experiment, den Eintritt an die Besuchsdauer zu koppeln. Warum bleiben Sie nicht gleich dabei?

Tom Schößler: Das hat praktische Gründe. Wir hatten im ersten Testlauf eine zweite Kasse geöffnet, um in Ruhe Fragen beantworten zu können, ohne den Einlass zu blockieren. Das haben wir überwiegend intern abgefangen, ich saß selbst ein paar Stunden an der Kasse. Es lief dann zwar alles recht problemlos, aber es war trotzdem gut, zu Weihnachten erst mal einen Cut zu machen und die Ergebnisse in Ruhe zu evaluieren.

Die Besuchszahlen waren im Testlauf gut. Auch, weil die Leute an dem Experiment teilhaben wollten?

Laut unserer Befragung hatte ungefähr die Hälfte vorab davon gehört. Und von denen wiederum hat die Hälfte angegeben, extra deswegen gekommen zu sein. Der überwiegende Teil fand‘s gut und hat auch goutiert, dass wir was Neues ausprobieren. Und gerade bei denen, für die das gedacht war – die zum Beispiel nur mal reingucken wollten – ist natürlich schön, wenn sie wiederkommen.

Und ab heute testen Sie, ob sich das verstetigen lässt?

Genau. Unsere Hoffnung ist, dass die Leute ihre Weserburg-Zeit so nutzen, wie es ihnen Freude macht.

Mit dem neuen Testlauf startet­ Ihre neue Präsentation, die, wie ich finde, sehr einsteigefreundlich ausfällt. Ist das Strategie?

Das Eintrittsmodell passt gut zur Idee der Sammlungspräsentation. Tatsächlich haben wir aber eher überlegt, den Test in den Zeitraum zu legen, wenn die Sonderausstellung umgebaut wird. Es ging also weniger um „So wie wir sind 2.0“, als um die Lücke zwischen den Ausstellungen zu Andrea Bowers und Birgit Jürgenssen. Wer jetzt erst mal durch die Sammlung gehen möchte, aber wenig Zeit mitbringt, kann das für weniger Geld tun und Ende März für die neue Ausstellung wiederkommen.­

Pay As You Stay“ ist bislang einmalig in Deutschland. Empfehlen Sie es weiter?

Das ist jeden Hauses eigene Angelegenheit – auch, weil so ein Modell nicht überall in die Gebührenordnung passt. Aber man muss natürlich immer auch bedenken: Wie nehmen die Leute ein Haus wahr? Passt die Aktion da hin? Ist es praktisch umsetzbar? Zum Beispiel wenn der Tourismus stark ist: Forschung belegt, dass da eine ganz andere Zahlungsbereitschaft herrscht. Da hätte es weniger Sinn, dem Publikum mit unserem Preismodell entgegenzukommen, weil die Besuchsmotive andere sind.

Der Wert der Kunst ist ein Reizthema. Haben Sie die Frage nach Ausverkauf im Zuge des Preismodells diskutiert?

Natürlich! Es ist ja schon im Haus nicht jeder gleich begeistert bei so was. Und auch mit Kollegen tausche ich mich selbstverständlich aus. Das ist eine sehr wichtige Diskussion. Ich habe aber oft den Eindruck, dass man dabei schnell so tut, als würden die BesucherInnen nicht selber nachdenken. Wer ins Museum geht, überlegt sich doch, was er dort will, und dann wird abgewägt, ob das erhoffte Erleben zu dem passt, was man reinstecken muss: Aufwand und Nutzen.

Finanziell, meinen Sie?

Eben nicht nur. Auf der Nutzenseite­ stehen Sachen wie „Wird‘s mir gefallen? Werde ich Spaß haben, etwas Neues lernen? Mach ich mal wieder was mit meinem Partner oder meiner Partnerin? Und so weiter. Und auf der Aufwandsseite steht: „Wie viel Zeit kostet das? Wie aufwendig ist der Besuch? Wie hoch ist der Rechercheaufwand? Finde ich da leicht hin – und was kostet der Eintritt?“ Beide Seiten sind Pakete. So zu tun, als könnte der Preis das komplette Nutzenpaket sprengen – ich finde, da unterschätzt man das Publikum.

Tom Schößler,38, seit 2017 kaufmännischer Geschäftsführer der Weserburg, hat über Preispolitik promoviert.

Sie haben ja auch abgefragt, wie der Besuch die Kunst bei tickender­ Uhr erlebt hat.

Es gab vier Prozent, die gesagt haben, Sie würden sich dadurch gehetzt fühlen. Das ist schade, aber ich würde behaupten, dass es eine ähnliche Zahl von Leuten gibt, die sonst den Tagespreis zahlt und dann das Gefühl hat, den jetzt auch zwanghaft ablaufen zu müssen. Insofern haben beide Modelle Vor- und Nachteile. Und wir wissen ja auch gar nicht, wie die Leute ihre Zeit bei uns verbringen.

Was meinen Sie damit?

Wir haben nicht erforscht, ob jemand, der eine halbe Stunde drin war, die ganze Zeit vor einem Werk gestanden oder 180 Werke gesehen hat. Wir wollen nicht entscheiden, wer die intensivere Auseinandersetzung mit der Kunst hatte. Man kann ja durchaus etwas erleben, wenn man sich treiben und ein Gesamtensemble­ auf sich wirken lässt. Ich glaube, dass sich so ein Preismodell sehr für zeitgenössische Kunst eignet, weil das Risiko so groß ist. Im Naturkunde­museum habe ich eine ganz gute Idee, was mich erwartet – ein Kunstmuseum ist für Viele eine Blackbox.

Was muss passieren, damit Sie das Modell übernehmen?

Das große Aber bleibt das Geld. Wir haben bei „1 Euro pro 10 Minuten“ einen grundsätzlich niedrigeren Durchschnittserlös, der sich automatisch durch die Preisobergrenze von neun Euro ergibt. Viele zahlen weniger als den normalen Tagespreis, aber niemand mehr. Sollte das nicht kompensiert werden durch mehr Besuche, haben wir einen Verlust. Wenn wir den nicht irgendwie ausgeglichen kriegen, müssen wir uns überlegen, ob wir uns das leisten­ können.

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