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Kritik statt roter Teppich

Seit 2015 widmet sich das Festival Woche der Kritik zur Berlinale dem Diskursiven und Abseitigen. Diesmal gibt es einen Beitrag aus „Nollywood“ – und kämpfende Mönche

Szene aus „The Lost Okoroshi“ von Abba Makama Foto: Woche der Kritik

Von Michael Meyns

Mit einer „Konferenz ohne Thema“ startete gestern die 6. Ausgabe der Woche der Kritik, doch als Zeichen für Ratlosigkeit sollte man dieses Motto gewiss nicht verstehen. Sondern im Gegenteil für eine große Offenheit, für einen Versuch, die drängenden Fragen, die sich dem Kino als Ganzem, aber auch der Berlinale im Speziellen und – um auf die Woche der Kritik zurückzukommen – im Besonderen der Filmkritik stellen.

Über die Frage, welche Aufgabe ein Filmfestival neben der offensichtlichen – dem Zeigen von Filmen – verfolgen kann, soll oder muss, wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Mit dem Ende der Ära Dieter Kosslicks und der Berufung des neuen künstlerischen Leiters Carlo Chatrian verbinden sich viele Erwartungen. Das nach dem Funktionär Kosslick nun ein Cineast wie Chatrian die Filmauswahl trifft, weckt bei vielen Filmkritikern die Hoffnung, dass die Berlinale sich verstärkt dem Diskurs widmet, dass Filme nicht einfach nur gezeigt werden, dass es nicht nur um Stars auf dem roten Teppich geht – sondern um mehr.

Dieses Mehr ist dabei seit sechs Jahren in der inoffiziellen Nebensektion „Woche der Kritik“ zu finden, einer Initiative des Verbands der Deutschen Filmkritik (dem auch der Autor dieses Textes angehört). Während Dieter Kosslick sich der Woche der Kritik gegenüber stets deutlich ablehnend zeigte, hegt Carlo Chatrian größere Sympathien für das Konzept. Wenig überraschend hat er doch in seiner vorherigen Position als Leiter des Festivals von Locarno eine Programmpolitik verfolgt, die den experimentelleren Formen des Kinos ähnlich verbunden ist wie die Woche der Kritik.

Inwieweit die neu geschaffene Berlinale-Sektion Encounters, die sich als Plattform für das erzählerisch und visuell ungewöhnliche Kino versteht, zur Konkurrenz der Woche der Kritik werden wird oder sich beide Sektionen vielleicht auch ergänzen könnten, werden die nächsten Jahre zeigen.

Einer der aufregendsten Filme der Woche der Kritik könnte man sich jedenfalls auch im Encounters-Programm vorstellen: „The Lost Okoroshi“ von Abba Makama aus Nigeria. In vielerlei Hinsicht ein in typischer Nollywood-Manier – also mit geringsten Mitteln – produzierter Film, wie sie in der boomenden Filmszene der Metropole Lagos zu Dutzenden entstehen. Doch schon die Anfangssequenz, in der gleich eine Handvoll jener überdimensionalen Zottelwesen, die dem Kinozuschauer spätestens seit „Toni Erdmann“ bekannt sind, einen wilden, rituellen Tanz aufführen, deutet an, dass es hier um mehr geht. Die Hauptfigur ist ein desillusionierter Wachmann, der vom Leben in Lagos genug hat. Eines Morgens wacht er als Okoroshi auf, als lebendig gewordener Geist, der sich fortan auf eine spirituelle Reise begibt. Die ist aber noch nicht mal im Ansatz so bedächtig inszeniert, wie es im westlichen Autorenkino wohl der Fall wäre. Stattdessen greift Makama in die Vollen, reiht seltsame Charaktere und durchgedrehte Szenen aneinander – regelmäßig unterbrochen von Tanznummern, die an die ganz eigene Ästhetik von Videoclips erinnert, die inzwischen in afrikanischen Metropolen entstanden ist.

Wird die neue Berlinale-Sektion Encounters zur Konkurrenz für die Woche der Kritik?

Im Anschluss an die Vorführung von „The Lost Okoroshi“ und des mittellangen Films „Sete Anos Em Maio“ von Affonso Uchôa kommt es zum Hauptanliegen der Woche der Kritik: dem Sprechen übers Kino. Unter dem Motto „Traumlandschaften und Maskeraden“ diskutieren neben Makama auch der nigerianische Filmkritiker Wilfred Okiche und Senem Aytaç, Kritikerin und Wissenschaftlerin aus der Türkei. Ob sich die Unterhaltung tatsächlich zu einem Streitgespräch im besten Sinne des Wortes entwickelt, wird man sehen – wünschenswert wäre es. Gerade weil die Filmkritik allzu oft als reine Informationsquelle wahrgenommen wird, reduziert auf die Frage, ob ein Film „gut“ oder „schlecht“ ist.

Dass das Medium Film weit komplexer sein kann, dürfte zum Beispiel auch Thema der Debatte „Distanzen brechen“ sein, deren Diskussion von zwei Filmen angeregt wird: „Ganze Tage zusammen“ von Luise Donschen zeigt junge Menschen während eines Sommers, fiktive Szenen, die dokumentarisch wirken.

Dagegen steht „Faith“ von Valentina Pedicini, eine Dokumentation über eine Gruppe von Mönchen, die in der Einsamkeit der italienischen Berge leben – und gleichzeitig Shaolin-Kämpfer sind. Allein diese seltsame Kombination wäre schon interessant genug, doch durch ihre stilisierende Inszenierung hebt Pedicini ihr Thema auf eine höhere Ebene. In monochromen Breitwandbildern hat sie die Mönche gefilmt, lange mit ihnen gelebt und so eine immersive Dokumentation gedreht, die durch ihre strenge Form künstlicher wirkt als der vorher gezeigte – fiktive – Kurzfilm. Dessen Kamerafrau Helena Wittmann, Pedicini, der Autor und Kritiker Mathieu Landais und der Regisseur Karim Aïnouz werden im Anschluss diskutieren und vielleicht eine Antwort auf die Frage finden, in welche Richtung sich das Kino – und mit ihm die Kritik – entwickeln wird.

Woche der Kritik, 20.–27. 2, Hackesche Höfe Kino, Infos unter: www.wochederkritik.de

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