piwik no script img

Pop muss nicht harmlos klingen

Zwischen Soul und Lärm: Das Neuköllner Indie-Label Mansions & Millions feiert am Freitag sein fünfjähriges Bestehen mit einer konzertanten Sause im Friedrichshainer Urban Spree

Labelchef Anton Teichmann (links) und sein Künstler John Moods Foto: Mansions & Millions

Von Robert Mießner

Eine Postkarte aus Neukölln im Briefkasten erspäht, und zwar eine von denen, die beim Aufklappen Musik abspielt. Es ist eine bunte, quietschvergnügte, fast so, als sei sie den mittleren 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entsprungen. Eine Art synthetisch hüpfender Funk, zu dem sich später eine kantige Surfgitarre gesellen wird, ohne dass es wehtut. Die Bildseite der Karte zeigt ein weiches Panorama der Hauptstadtmitte, über Fernsehturm und Berliner Dom prangt eine orangefarbene Schrifttype, die fast noch aus den 70ern grüßen könnte. Dass die Karte dann doch nicht mehrere Jahrzehnte gebraucht haben kann, verraten zwei Fotodetails, das Reichstagsgebäude und der erst nach der Jahrtausendwende angebrachte „Park Inn“-Schriftzug am Hotelturm vom Alexanderplatz.

Der Absender der Karte hört auf den Namen John Moods. Ein Pseudonym, der Berliner Musiker Jonathan Jarzyna verwendet es für seine Soloaktivitäten, wenn er nicht mit seiner Indiepop-Band Fenster zugange ist, deren viertes Werk „The Room“ es 2018 zum Album der Woche beim Internetradio ByteFM brachte. Das Lied, das Jarzyna alias John Moods auf die Reise schickt, heißt „I Wanted You“, und bereits die Vergangenheitsform könnte andeuten, dass es darin nicht durchgehend so vergnügt zugeht, wie es sein Einstieg vermuten lässt. „I Wanted You“ hat Tiefe in der Oberfläche. Drei Strophen, zwei acht-, die mittlere zehnzeilig; in der letzten kriegt die Geschichte des erloschenen Begehrens eine Schattierung, die sich so nicht ankündigte: „I wanted you / In the land of the blind / I wanted you/Out of my life / I wanted you /On the day that you died / And then I knew / I want you.“ Die Musik bleibt dabei in ihrem beschwingten Modus, Moods’ Stimme in den höheren Ton­lagen.

An dieser Stelle eine Einschränkung: Bei dem Song handelt es sich um eine digitale Single inklusive des Covermotivs. Mit der Post kommen könnte ein Mixtape, das Moods’ Label Mansions & Millions dieser Tage erstellt hat und aus dem heimischen Neukölln verschickt. Moods ist da mit einem souligen Duett vertreten, das er mit dem Sänger Adam Byczkowski alias Better Person aufgenommen hat, und mit ihnen noch 14 andere Acts ihres Labels, das diesen Freitag im Urban Spree am Brennpunkt Revaler Straße mit einem Dreierkonzert seinen fünften Geburtstag feiern wird.

Vielleicht heißt es in fünf Jahren über das Label, es arbeite wie Mute Records

Außer Moods wird die kanadische Sängerin Emma Czerny auf der Bühne stehen. Unter dem Alias Magic Island hat sie 2017 auf Mansions & Millions ihr Debüt veröffentlicht: „Like Water“, eine Kassettenveröffentlichung. Darauf der Song „Shep­herd“, der auf dem Geburtstags-Tape der M&Ms in einer berückenden Pianoversion zu hören ist. Das dritte Konzert des Abends bestreitet eine Kollegin John Moods’ aus seiner Zeit als Jonathan Jarzyna: die Fenster-Mitbegründerin JJ Weihl. Unter dem Namen Discovery Zone betreibt Weihl eine Mixtur aus Popmusik, Soundcollage und Performance. Neben der elektrischen Gitarre ist mit dem ­Einsatz von Vocoder und Theremin zu rechnen. Zwischen und nach den Konzerten wird eine Man­sions-&-Millions-Künstlerin auflegen, über deren Album „If It’s Written“ der Musikexpress schrieb, es handele sich dabei um „ein schönes Album für Freunde des Halbschattens“: Dena, Denitza Todorova. Die Wahl eines ­Pseudonyms scheint bei Mansions & Mil­lions obligatorisch zu sein.

Was zum Glück kein Muss ist: Pop im Sinne von „poppig“. Zum Nikolaustag 2019 ist auf Man­sions & Millions ein Tape des norwegischen Duos Soft as Snow erschienen: „Take Your Honey“, eine in Lichtenberg aufgenommene 23-minütige Session aus Stimmschlieren und Synthesizerlärm, so schön wie Throbbing Gristle am Jüngsten Tag. Und eine der ersten M&M-Releases war ein Tape des Berliner Noise-Projektes Tooth Decay: „Spectromorphology“, eine 2-mal 20-minütige Geisterbahnfahrt mit dem modularem Synthesizer. Wer weiß, vielleicht lässt sich von heute aus in fünf Jahren über Mansions & Mil­lions sagen, dort werde die „Methode Mute Records“ gepflegt. Zur Erinnerung: Auf Daniel Millers legendärem Label veröffentlichen seit 1978 Künstler:Innen wie Depeche Mode und das Soul-Synthie-Duo Yazoo neben Avantgarde-Quälgeistern wie der Sängerin Diamanda Galás oder Can-Mitbegründer Irmin Schmidt. Eine Labelpolitik, bei der Pop nicht harmlos zu sein hat. Das hätte und hat was.

„5 Jahre Mansions & Millions“ Morgen, 21. Februar im Urban Spree, Label-Geburtstagssause mit Magic Island, John Moods und Discovery Zone

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen