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Lieblich wird’s nur, wenn die Welt draußen bleibt

Noch Kitsch oder schon Philosophie? Peter Trawnys Versuch einer „Philosophie der Liebe“

Peter Trawny: „Philosophie der Liebe“. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019, 272 Seiten, 22 Euro

Von Jakob Hayner

Einst waren die Menschen Kugeln, die von den Göttern kurzerhand zerteilt wurden und seitdem auf der Suche nach ihrem Pendant sind. Das ist, was wir Eros nennen. Oder Liebe. Der Philosoph Platon legt in der Schilderung eines seiner weinseligen Gastmahle diese hübsche Erklärung dem Komödiendichter Aristophanes in den Mund. Was und zu welchem Nutzen eigentlich die Liebe sei, bewegt die Philosophie seit Anbeginn. Sie trägt die Liebe schon im Namen, neben der Weisheit. Peter Trawny, vor allem bekannt als Herausgeber von Martin Heideggers „Schwarzen Heften“, die den Judenhass des Schwarzwaldschwätzers belegen, hat sich nun an einer „Philosophie der Liebe“ versucht. Knapp 250 Seiten füllt der Leiter des Martin-Heidegger-Instituts der Universität Wuppertal mit seinen Aphorismen. Um Platon geht es dabei des Öfteren. Aber unter anderem auch um „Eyes Wide Shut“, die Beatles oder um „Ronja Räubertochter“.

Die Liebe ist ein weites Feld. Aber was ist sie? Antwort Trawny: „Leben ist gewissermaßen gar nichts anderes als – Lieben.“ Das ist, wie man unter Philosophen sagt, normativ, nicht deskriptiv gemeint. Liebe soll in einer sinnlosen Welt den Sinn stiften. Und sonst? „Liebe ist ein wichtiger Teil unserer Intimität.“ So richtig lieblich wird’s nur, wenn die Welt draußen bleibt, will uns der Philosoph sagen. Die Liebe sei ein Tempel der Einzigartigkeit, der Schutz biete vor der bösen Porno-Welt (Tinder! Medien! Kapitalismus!). Die Verkitschung der Philosophie, nach Thomas Bernhard das Programm Heideg­gers, setzt Trawny bruchlos fort: Hier die hyggelige Hütte des Eigentlichen, dort die kalte Moderne. Der Jargon der Nähe und Intimität zieht sich durch das gesamte Buch, das außer aufgeblasenen Allgemeinplätzen wenig zu bieten hat.

So kündigt Trawny im Gestus des unzeitgemäßen Gentlemans an, eine Lanze für die Ehe zu brechen. Da wird’s abenteuerlich. Die Ehe beginnt zunächst bei Adam und Eva, dann irgendwann im 16. oder vielleicht doch im 11. Jahrhundert. In den Fußnoten ist zwar Michel Foucaults vierter Band von „Sexualität und Wahrheit“ angegeben, in dem penibel der frühchristliche Diskurs über die Ehe rekonstruiert wird, aber egal. Über die Ehe in der bürgerlichen Gesellschaft kein Wort, Kant wird nicht einmal erwähnt. Argumente für die Ehe? Fehlanzeige. Trawny grenzt sie ab vom Schreckgespenst eines „neoliberalen Hedonismus, der Beziehungen plant wie Urlaube in der Karibik“. Wer bitte tut das? Und warum sollte die Ehe das Gegenteil sein? Es ist nicht das einzige schiefe Bild. Letztlich ist es die „vertraute Schönheit Deiner alternden Hand auf meiner“, die das Eheplädoyer plausibilisieren soll. Das allerdings kann man auch ohne Termin auf dem Standesamt oder in der Kirche haben.

Zudem hat der Autor die unangenehme Vorliebe, zu jeder Feuilletondebatte seine drei Zeilen Ungedachtes hinzuzugeben. Sei es zu der ideologischen Bedrohung der Liebe durch Safe Spaces (mit Rätselsätzen wie „Man beansprucht den safe space des Einzigartigen, als wäre daran etwas Besonderes.“), zum Thema toxische Männlichkeit oder darüber, dass man im Englischen zwar von „beautiful interracial couples“ spreche, im Deutschen aber nicht „schöne gemischtrassige Pärchen“ sagen könne. Nun, vielleicht liegt es an der unterschiedlichen Semantik von „race“ und „Rasse“? Auch zu Greta Thunberg hat Trawny eine Meinung (die „‚weiß‘ deshalb so viel vom Zustand der Erde, weil sie dieser in ihrem Geschlecht näher ist, als es jeder junge oder gar ältere Mann je sein könnte“).

Ob sich das im Verlag überhaupt jemand angeschaut hat, scheint auch wegen Druckfehlern wie „qeer“ oder „Star Treck“ zweifelhaft. Das Buch ist keine Philosophie der Liebe, sondern ein Geraune über ein vermeintlich allheilendes Mysterium – bis hin zu Hitler und Stalin, die für den Grusel­effekt ebenso wenig fehlen dürfen wie ein geschmackloser Verweis auf die Unmöglichkeit, Gaskammern zu lieben.

Wenn ein Rat erlaubt ist: Lesen Sie die Liebeslyrik von Peter Hacks, gehen Sie in ein Stück von René Pollesch oder schauen Sie die neue Staffel von „Sex Education“, aber lassen Sie um der Liebe und der Vernunft willen die Finger von diesem einfältigen Buch.

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