berliner szenen: Ein Kaufhaus mit Charme
Einmal pro Woche habe ich zwischen einem Termin und dem nächsten Termin eine Stunde Zeit zu überbrücken am Hermannplatz. Seit ich erfahren habe, dass Karstadt abgerissen werden soll, gehe ich da öfter rein. Nicht, dass ich etwas brauchen oder kaufen würde, aber ich bin neugierig geworden.
Als eine Freundin mir immer wieder sagte, dass sie das Kaufhaus liebe, konnte ich das nicht nachvollziehen. Nach und nach entdecke auch ich den Charme des Hauses. Ich flaniere durch die Gänge und schaue mir Produkte an, als wären sie bunte Blumen in einem Garten. Vor allem beobachte ich aber Menschen: Käufer*innen, Mitarbeiter*innen, Rumhänger*innen wie ich.
Ich sehe einen jungen Mann, der in einem Regal voller Wecker stöbert (vielleicht weigert er sich, mit einem Handy neben dem Kopf zu schlafen?) und einen roten aussucht. Bei der Schuhabteilung sehe ich halb barfüßige Jugendliche mit düsterer Miene.
Im Keller wird Bratwurst und Asiatisch gegessen, im vierten Stockwerk nehmen sich die Leute Kuchen vom Bufetttisch. An diesem Nicht-Ort eilen manche mit Sporttaschen zum Fitness-Club vorbei, andere sitzen, mit oder ohne Verzehr, wieder andere lassen ihre Kinder an der traurigen Spielecke spielen. Das Paar, das dort die Toiletten sauber hält, trägt weiße Kittel und grüßt freundlich vor und nach dem Toilettenbesuch.
Beim Tierbedarf gibt es Spinnen, Schlangen, Damen mit Mops.
In der Kosmetikabteilung findet man Seifen, die nach allem Möglichen duften. Ich rieche und versuche zu erraten, was mit dem Duft gemeint ist. „Das riecht nach Mann“, sagt ein Mann seinem Freund. Meine Idee war „toskanisches Kloster“. Auf die Idee mit dem Mann wäre ich nie gekommen. Ich schließe die Augen und versuche, mich dorthin zu transportieren. Luciana Ferrando
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