: Und böse dräuen die Riffs: wuchtige Musik, mehrfach sortiert von Ari Benjamin Meyers und Dyse
Berührungsängste kennt er nicht. Ari Benjamin Meyers ist studierter Dirigent, Pianist und Komponist, aber er weiß auch, wie eine elektrische Gitarre jaulen muss. Geboren und aufgewachsen in New York, studierte er später bei Leonard Bernstein und baute seinen Abschluss in Yale. Seit einigen Jahren lebt Meyers nun in Berlin und arbeitet regelmäßig mit lokalen Musikern von Bernadette Hengst bis zu den Einstürzenden Neubauten, aber auch an der Semperoper oder mit der katalanischen Theatertruppe La Fura dels Baus. Auf zwei aktuellen Veröffentlichungen steckt er nun seine erstaunliche musikalische Bandbreite ab. Auf „Symphony X“ lässt er das von ihm zusammengestellte Redux Orchestra seine Vorstellung von moderner Orchestermusik interpretieren: In den vier Sätzen des Werks finden eine um Gitarren und Elektronik ergänzte klassische Instrumentalbesetzung, die Dynamik des Rock und die Struktur der elektronischen Musik zusammen. Wie Loops wirken die mitunter ewig wiederholten Motive, die in ihrer schroffen Klarheit aber auch an Gitarren-Riffs erinnern. Die Monotonie mag zwar wirklich keine Unbekannte sein in der modernen Komposition, aber Meyers paart sie mit Klischees, wie man sie sonst eher vom Tanzboden oder aus der Rockgeschichte kennt. Von den gefürchteten Rock-meets-Klassik Projekten von Deep Purple bis Metallica allerdings ist „Symphony X“ zum Glück weit entfernt: Statt simple Rock-Pattern einfach mit Streicher nachzuspielen, sucht Meyers eher eine Versöhnung zwischen den ungleichen Elementen und schafft dadurch ein eigenes Genre.
Wie weit hinaus über seine klassische Ausbildung das Interesse des 37-jährigen Meyers reicht, beweist er mit Celan, seiner gemeinsamen Band mit Chris Spencer, der mit Unsane und Cutthroats 9 eine der zentralen Figuren des amerikanischen Noise-Rock ist. Vom unlängst erschienenen Debütalbum „Halo“ donnert ein schwermetallener Experimental-Rock, wie man ihn zuletzt von den Melvins gehört hat: Böse dräuende Riffs, bellender Gesang und zähflüssige Rhythmen. Das sind keine Songs, sondern eher Felsblöcke, die noch mit Vorschlaghämmern bearbeitet werden.
Im Vergleich dazu klingen selbst Dyse vergleichsweise diffizil. Vor allem die Auftritte des in Berlin und Jena beheimateten Duos waren bislang gefürchtet, nun haben sie ihren übellaunigen Rock auch angemessen auf Platte bannen können: Schlagzeuger Jari Rebelein und Gitarrist Andre erforschen auf „Lieder sind Brüder Revolution“ Möglichkeiten, die ein nahezu akademischer Umgang mit Metal eröffnet. Von allen doofen Rocker-Posen entkleidet wird nichts in Verzerrungen oder Rückkopplungen ertränkt, hier flüchtet niemand vor dem eigenen Spiel, indem er seinen Verstärker so weit wie möglich aufreißt. Selbst der Gesang, der bisweilen ins Kindermörderhafte kippt, wirkt seltsam beherrscht. Auch wenn die spartanische Besetzung mit ein paar Keyboard-Klängen oder Bläsern erweitert wird, bleibt die entscheidende Qualität bestehen: Die schiere Gewalt des Vortrags. THOMAS WINKLER
■ Ari Benjamin Meyers: „Symphony X“ (Potomak/ Indigo)
■ Celan: „Halo“ (Exile On Mainstream/ Soulfood)
■ Dyse: „Lieder sind Brüder Revolution“ (Exile On Mainstream/ Soulfood). Celan und Dyse beim Worship-The-Riff-Festival am 11.10. Lido