: „Ich konnte mich nicht zurückhalten“
POLITISIERUNG Der türkische Musiker Hakan Vreskala sieht sich im Widerstand gegen die türkische Regierung. Im September tritt er beim Morgenland-Festival in Osnabrück auf
■ 33, kommt aus Izmir und lebte fünf Jahre in Istanbul. 2001 kam er nach Schweden, um an der Royal Music Academy in Stockholm zu studieren.
taz: Herr Vreskala, Sie bezeichnen Ihre Musik als „Sound of Resistance“. Worum geht es in Ihren Liedern?
Hakan Vreskala: Die Situation in der Türkei ist ein ständiges Auf und Ab. In den letzten zwei oder drei Jahren ist es schlimmer geworden. Die Regierung ist zum Feind von jedem geworden, der nicht auf Ihrer Seite ist. Ich wollte eigentlich nie politische Musik machen, aber ich wurde dazu gezwungen.
Sie sehen sich also als politischen Musiker?
Nicht wirklich – ich habe Songs über alles mögliche. Liebeslieder. Oft geht es um die kleinen Dinge im Leben. Aber ich bin Türke und in meinem Land findet gerade eine massive Unterdrückung statt. Das ist ein wichtiges Thema und ich will für Gerechtigkeit einstehen.
Ihre musikalische Karriere starteten Sie als Drummer in Punk-Bands. Punk-Rock ist ja auch immer irgendwie Protest.
Ja, das ist er! Im Punk-Rock liegt immer noch meine Seele. Ich bin ein Großstadtkind, aufgewachsen in einem Land, das über weite Strecken von Religion und Nationalismus bestimmt wird. Ich habe auf diesen ganzen Mist geschissen.
Wie radikal ist Ihr Protest heute noch?
Einer meiner neuen Songs, Dagilin lan, zum Beispiel ist eine Art politischer Manifestation. Dagegen, dass die Polizei uns immer angeschrien und uns verboten hat, uns in der Öffentlichkeit zu versammeln. In dem Song habe ich eine Menge Schimpfwörter benutzt – ich konnte mich nicht zurückhalten.
Einige Ihrer Lieder sind auf kurdisch – ist auch das ein politisches Statement?
Auf meinem Album gibt es drei oder vier kurdische Lieder. Du sprichst mit Kurden, du schließt Freundschaften, du singst mit ihnen und lernst ihre Musik kennen. Ich habe mit vielen kurdischen Musikern gearbeitet und die Sprache gelernt. Es war ganz natürlich, auch auf kurdisch zu singen. Irgendwo wird es klar zum Statement – es ist eine Art und Weise, „fuck you“ zur Unterdrückung zu sagen.
Nehmen Türken und Kurden Ihre Musik unterschiedlich wahr?
Für mich persönlich sind die Unterschiede zwischen Türken und Kurden nicht so groß. Sei das in der Musik oder in anderen Lebensbereichen. Auch wenn das fast niemand zugeben will.
In Ihrer Musik höre ich einen deutlichen Balkan-Einschlag heraus. Wo kommt der her?
Mein Vater ist ein Türke aus Mazedonien. Ich habe also, wie viele in meiner Heimatstadt Izmir an der Westküste der Türkei, Wurzeln im Balkan. Ich habe mir immer alle Musik angehört und mir das Beste herausgepickt – Balkan, Punk, Singer-Songwriter. Ich hatte Glück, nach Schweden zu kommen, wo diese Mischung gut ankam.
Kam Sie in Ihrer Heimat nicht so gut an?
In Izmir gibt es viele Unruhen und ein Song von mir, ein Liebeslied an eine kurdische Frau, wurde falsch verstanden. Du lernst ein paar Worte in ihrer Sprache, Sachen wie „Ich liebe dich“ und „Kannst du mir Brot mitbringen?“ Du versuchst, süß zu sein. Ich singe in dem Lied „Ich kann kein kurdisch, aber mein Herz kann es.“ Der erste Teil des Satzes wurde als Affront gegen Kurden verstanden. Deswegen wird meine Musik in Izmir nicht akzeptiert, obwohl ich in der Türkei sehr viele Konzerte spiele.
Sie wohnen jetzt schon seit über zehn Jahren nicht mehr in der Türkei. Wo ist Ihre Heimat?
Ich denke, ‚Heimat‘ ist für mich immer noch die Türkei. Dort fühle ich mich politisch engagiert. Was mich sonst noch am Leben hält, ist Essen und Musik und da geht nichts über die Türkei – aber ich habe nicht vor, dorthin zurückzuziehen. Momentan plane ich, nach Berlin zu gehen, da finde ich alles, wonach ich suche.
INTERVIEW: MORTIZ KOHL
Morgenland-Festival Osnabrück: Hakan Vreskala und Band, 1. September, 21 Uhr, Lagerhalle