Der Anführer betritt die Bühne in Sportsocken

KONZERT Beim Berliner Konzert von Odd Future streikte die Technik. Aber Tyler, the Creator, wurde schwer gefeiert

Was Tyler auf „Bastard“ und „Goblin“ vorgeführt hat, verschwindet live fast vollständig

Gott muss zum Therapeuten. Den hat er sich logischerweise selbst erschaffen: Er trägt die gleichen Initialen wie sein Patient – das ist die Ausgangssituation.

Der kalifornische Rapper Tyler The Creator aka Gott hat seinen Therapeuten, Dr. TC, auf seinem Debütalbum „Bastard“ von 2009 selbst eingeführt. Dr. TC allerdings, so spinnt Tyler die Geschichte, taugt nicht viel. Er ist erschlagen von der Aggressivität und der Wut seines jungen Patienten. Zwei der drei von Tyler The Creator beziehungsweise Dr. TC veranschlagten Sitzungen, was hier heißt Alben, sind inzwischen veröffentlicht: 2011 kam „Goblin“, der dritte Teil, „Wolf“, ist noch für 2012 veranschlagt.

Wut der Jugend

In der Zwischenzeit haben sich Tyler und seine Crew, die Odd Future Wolf Gang Kill Them All, kurz OFWGKTA, selbst in die Stellung der Therapeuten aufgeschwungen: Sie kanalisieren die Wut der Jugend auf Vater-Mutter-Schule-Staat. Rap heißt bei ihnen immer auch Punk – „jetzt.de“, die junge Zeitung der Süddeutschen, hat Tyler ob seines Popheldentums schon als den „neuen Kurt Cobain“ bezeichnet.

Genau deswegen ist das Huxleys Neue Welt vor dem Berlin-Konzert der Odd-Future-Gang trotz Hitze fast gefüllt, genau deswegen skandieren die Besucher schon, lange bevor die Crew erscheint, immer wieder rhythmisch „Wolf Gang“, „Wolf Gang“. Aufritt DJ Taco: Vier, fünf Hip-Hop-Hits aus den letzten Jahren bringen die Menge in Stimmung, im Hintergrund rappen Mitglieder der Gang die Texte mehr schlecht als recht mit.

Als dann die ersten drei MCs der Odd-Future-Gang die Bühne betreten, hat man erst einmal den Eindruck, es würde noch schlimmer: Die Beats sind kaum zu hören und keiner der Rapper scheint den Takt zu treffen. Erst nach drei Tracks stellt sich heraus, dass es ein technisches Problem gab: Auch die Rapper konnten die Beats nicht hören, zu denen sie rappten. Warum das dem Mischer nicht eher aufgefallen war, muss wohl ein Rätsel bleiben.

Konsequent ist daher, dass auch, nachdem alles wieder funktioniert, der Eindruck entsteht, dass die Männer am Mischpult als Reaktion auf die Ankündigung eines Hip-Hop-Konzerts einfach nur den Bass hochgedreht haben. Der übertönt nämlich jede diffizilere Ausgestaltung der Beats, zudem sind die MCs kaum zu verstehen. Das mag allerdings auch daran liegen, dass der Teil der Crew, der gerade nicht rappt, dermaßen ins Mikrofon brüllt, dass nur noch Grölen zu hören ist.

Dem Publikum ist das alles herzlich egal. Spätestens als Tyler The Creator, wie immer mit bis zu den Knien hochgezogenen Sportsocken, die Bühne betritt, wird gefeiert. „Happy to be back to Berlin“ ist er, aber hier sei es „hot as fuck“. Jubel. Tatsächlich gibt Tyler so etwas wie den Anführer der Crew, der die anderen schon einmal mit einem „Shut up“ zurechtweist. Die technischen Probleme lösen kann er jedoch auch nicht. So bleibt von seinen Stärken in textlicher Hinsicht nichts übrig, weil er meist von den Kollegen übertönt wird.

Was Tyler auf „Bastard“ und „Goblin“ auf so eindringliche und in seiner Mischung aus Aggressivität, Reflexionsfähigkeit und sprachlicher Gewandheit auf so reife Weise vorgeführt hat, verschwindet live fast vollständig. Der Umgang mit der Wut auf die Institutionen reduziert sich auf die Befehle „Jump!“, „Fuck the police!“ und „Break the law!“.

Who do you hate?

Nicht dass sich Tyler nicht bemühen würde: Er geht zum Publikum und fragt einzelne Besucher: „Who do you hate?“ Als der Fan antwortet, er hasse seine Stiefmutter, bekommt er den gewiss nützlichen Hinweis: „Step on your stepmother!“ Der nächste Fan hat dann schon verstanden, dass es hier um nichts geht: „Who do you hate?“ „Water.“ „Idiot.“

Ansonsten: Tylers bisher bester Track, „Yonkers“, ist in Kombination mit dem von ihm verantworteten Video eindrücklicher als auf der Bühne, am besten funktionieren an diesem Abend noch „Sam (Is Dead)“ und „Close Your Eyes“, obwohl auch hier die erwähnten technischen Probleme den Spaß verderben. Vielleicht sollte sich Tyler darüber einmal mit Dr. TC unterhalten.

ELIAS KREUZMAIR