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berliner szenenDie Hasenheide ist traurig

Sonntagmittag. Es ist kalt und grau, die Straßen Kreuzbergs sind menschenleer. Du bist allein am Heinrichplatz und überlegst, ob du zu Fuß nach Neukölln gehst oder auf den M29 wartest. Er soll in sieben Minuten kommen. Kaputte Flaschen, Müll, vergessene Cocktailgläser: Es wurde gefeiert. Trotz des Winters haben Leute hier getrunken, gelacht, vielleicht getanzt. Vor ein paar Stunden war diese leere Ecke noch voll. Du entscheidest dich, auf den Bus zu warten.

Und es fühlt sich so an, als wärst du auch müde und verkatert, obwohl du keine Party gemacht hast. Du warst bei einer Freundin, ihr habt zu dritt in einem riesigen Bett, mit halb geöffnetem Fenster geschlafen. Irgendwas hat dich an die Zeiten erinnert, als du in Berlin nur zu Besuch warst und bei Freund*innen oder Freund*innen von Freund*innen übernachten durftest. Du schliefst im Wohnzimmer oder in der Küche einer WG, und das Frühstück war ein Ereignis. Geräucherter Tofu, vegane Brotaufstriche, alles war neu für dich. Damals dachtest du: „In dieser Stadt könnte ich leben.“ Und heute in diesem Altbau wirst du nostalgisch, wenn du dich an dieses für dich neue Berlin erinnerst, ein Ort voller Überraschungen.

Jetzt nieselt es, und du stellst dir vor, wie gerade alle anderen in einem Café mit Holzofen und Brunchangebot Zeitung lesen oder quatschen. Wie sie im Bett kuscheln und sich freuen, dass das Wetter mies genug ist, um später einen Serienmarathon ohne schlechtes Gewissen machen zu können. Auch für dich: Wenn die Sonne nicht scheint, besteht kein Druck, an die frische Luft zu gehen. Bei miesem Wetter macht das Tempelhofer Feld keinen Spaß, die Hasenheide ist traurig, am Görli gehst du sowieso nicht vorbei. In zwei Minuten kommt der M29. Du fährst nach Hause.

Luciana Ferrando

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