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Archiv-Artikel

Ein Wirtschaftsimperium des Mittelalters

SOMMER IM MUSEUM (IX) Zwölf Mönche und der zugehörige Abt machten die Ländereien rund um das einst mächtige Kloster Riddagshausen bei Braunschweig urbar. Und sie verdienten ziemlich gut damit

Warum nicht den Sommer nutzen, um aufzuspüren, was die Peripherie oder – gut versteckt – die eigene Stadt an Kultur zu bieten hat? Wir stellen in dieser Serie einige Museen, Gedenkorte und Initiativen vor, die zu besuchen sich lohnen könnte.

Nicht weit nach der letzten Verkehrsampel der Stadt blitzen hinter einer Allee kleine Seen hervor. Ein Kopfsteinpflasterweg führt durch ein altes Torhaus, halb aus Stein, halb aus Fachwerk, in eine aus der Zeit gefallene Welt: Es ist auffällig ruhig in der Klosteranlage Riddagshausen bei Braunschweig. Mächtig dominiert die Klosterkirche die Anlage zwischen Scheunen und Park – umso mehr, als sie frei steht: Die angrenzenden Klostergebäude wurden schon 1850 abgerissen.

Doch die 1275 geweihte, frühgotische Pfeilerbasilika mit ihrem seltenen rechteckigen Chor und einem Kranz von 14 Kapellen ist verschlossen: Immer ab 16 Uhr und montags ganztägig. So bleibt nichts anderes, als am nächsten Tag wiederzukommen, um Niedersachsens mit 86 Metern längste Kirche mit dem längsten Nachhall (13,8 Sekunden!) auch von innen zu genießen.

Aber zunächst bietet sich an, den seit 2004 teils wieder eingerichteten Klostergarten zu besuchen oder durch die Landschaft zu wandern. Denn aus der Kulturleistung der Zisterzienser, die hier ab 1145 mit zwölf Mönchen und einem Abt Sümpfe regulierten und Fischteiche anlegten, ist inzwischen ein idyllisches Naturschutzgebiet geworden.

Für die heute nur wenige hundert Köpfe umfassende Gemeinde ist die Marienkirche viel zu groß. So ist die einst von Heinrich dem Löwen protegierte, wohl aus einer Konkurrenz zwischen Welfen und Staufern so groß geplante Kirche, inzwischen wesentlich ein Haus für Taufen und Hochzeiten. Im eindrucksvollen Inneren ist noch die zugemauerte Tür zu sehen, die einen direkten Zugang vom Querschiff zum Schlafsaal bot – immerhin musste das erste Morgengebet schon um 2 Uhr gehalten werden.

Doch neben den religiösen Pflichten der Mönche waren die Klöster auch die wirtschaftlichen Großkonzerne des Mittelalters: Im 14. Jahrhundert besaß Riddagshausen 3.750 Hektar Land, Grundbesitz in über 800 Orten, dazu Anteile am Weinbau in Würzburg, am Bergbau im Harz und an mehreren Salinen. Am 11. August 1568 wurde Riddagshausen offiziell lutherisch, wobei der letzte katholische Abt einfach als erster evangelischer Abt weiter amtierte. Trotzdem ging während der Reformation fast das gesamte Kircheninventar verloren. Und was blieb – Kanzel, Lettner und Hochaltar – ist heute in lutherischem Barock gehalten.

Die sehr spezielle neuere deutsche Geschichte zwischen romantischen und imperialen Phantasmen lässt aber auch diesen Ort nicht los: Am Kloster vorbei führt längs kleiner Teiche der „Kleidersellerweg“, den der Romancier und Novellist Wilhelm Raabe gerne ging, um am Stammtisch im nahen Waldlokal „Grüner Jäger“ mit seinen Freunden zu trinken. Unter ihnen waren übrigens der Omnibus-Ingenieur und Unternehmer Heinrich Büssing sowie der Klavierfabrikant Theodor Steinweg.

Nur ein paar Schritte sind die Reste des Reichsjägerhofs, den der damalige Ministerpräsident des Landes Braunschweig 1935 Hermann Göring zum Geschenk machte, entfernt. In den 70er Jahren wurde dann das inzwischen nach Braunschweig eingemeindete Dorf Riddagshausen zu einer Traditionsinsel gemacht und durch das Umsetzen ganzer Bauernhäuser aus fernen Landkreisen verschönert. (Zur Erinnerung: Braunschweig ist die Stadt mit einem Einkaufszentrum hinter der neu errichteten Fassade des alten Welfenschlosses.)

In Riddagshausen herrscht heute Bauverbot und strenger Naturschutz. Doch schon haben wieder die Mächtigen ihre Interessen an der scheinbaren Idylle: Heute gehört die so malerisch daherkommende Zeile alter Häuser und Scheunen westlich der Kirche zum Volkswagenkonzern, der dort und im ganzen Areal dahinter im angemessenen, videoüberwachten Luxus die MMI – Marketing Management Institut GmbH – Wirtschaftsakademie betreibt.HAJO SCHIFF

Klosterkirche St. Maria Riddagshausen (bei Braunschweig): Di bis So, 10 bis 16 Uhr