: Der Wohlfühlsound und sein Gegenteil
Das Kirchenlied „Danke für diesen guten Morgen“ hat einiges an Cover- und Theatergeschichte auf dem Buckel. Erstmals geht es auch um ein Verbot
Von Joachim Lange
Verbote in der Kunst sind relativ wirkungslos, dafür aber meist eine effektvolle Reklame. Zumindest hierzulande und heutzutage. Für Schostakowitsch war das noch anders, als Stalin 1936 mit einem „Chaos-statt-Musik“-Verdikt den Siegeszug der „Lady Macbeth von Mzensk“ abrupt ausbremste. Doch wenn einst ein hoher DDR-Funktionär öffentlich einen Autor abkanzelte, war das der sicherste Weg, dass dessen Werke gelesen wurden. Oder, wenn die notorisch „wachsamen“ Erben bei Brecht-Inszenierungen dazwischengehen, dann macht das die beanstandete Idee erst recht interessant.
Damit verglichen ist das, was gerade der Wiener Staatsoper widerfuhr, ein Schmarren. Die Uraufführung von Olga Neuwirths Oper „Orlando“ ging unbeanstandet über die Bühne. So wie es bis einschließlich der letzten Vorstellung am 20. Dezember auch „genehmigt“ war. Mit einem internationalen Presseecho, wie es dieses Haus schon lange nicht mehr erlebt hat.
Die Komponistin hatte für ihre Zeitreisen-Oper auch das wohl bekannteste Kirchenlied des deutschen Komponisten und Kirchenmusikers Martin Gotthard Schneider (1930-2017) „Danke für diesen guten Morgen“ höchst wiedererkennbar verwendet. Neuwirth setzt das Lied für eine Szene ein, die an klerikalen Kindesmissbrauch in viktorianischen Zeiten erinnert, also an ein heikles Thema, dem sich die Kirche selbst mittlerweile stellt. Der populäre Wohlfühlsound beleuchtet dessen genaues emotionales Gegenteil, wirft damit einen Schatten der Erkenntnis und hinterlässt einen starken Eindruck!
Am 18. Dezember befand einer der Rechteinhaber (das sind die Erbengemeinschaft Martin Gotthard Schneider sowie der Gustav-Bosse-Verlag Kassel) nach einem Livestream der Oper, dass die Verwendung des Liedes, um „in einer karikierend-entwürdigenden Form (…) die Bigotterie in der Gesellschaft darzustellen (…) in keiner Weise den Intentionen des Komponisten entspricht“ und „die Verwendung des Liedes sowie die entsprechende Bearbeitung und Darstellung (…) daher von den Rechteinhabern nicht genehmigt (wird).“ Verlag und Rechteinhaber bestanden für die letzte Vorstellung in Wien auf einem Einleger fürs Programmheft und untersagten künftig die Verwendung dieses Liedes.
Es ist schwer nachvollziehbar, wie man Kunst und ihre Mittel derart missverstehen kann. Mit Blick auf den Kontext der Oper wird nämlich keineswegs das Lied denunziert, sondern das, was seine Verwendung beleuchtet. Wenn es ein Lied zu solcher Popularität gebracht hat wie dieser als Gemeindelied gedachte Dankbarkeitssong, dann ist die ironische Verwendung nur eine geradezu zwangsläufige Kehrseite davon. Schaut man sich etwa das Heino-YouTube-Video an, dann ist eher die kitschige Berge-Kühe-Kirchen-Bilderfolge die eigentliche Denunziation.
Für das künstlerische Potenzial dieses Rundum-Dankes hat Christoph Marthaler in seinem Volksbühnen-Klassiker in Berlin „Murx den Europäer“ das Exempel geliefert. Das Leben ist hier ein Wartesaal, ausgestattet mit Propagandasprüchen. Im Alter alleingelassene Menschen singen und brüllen mit dem Lied geradezu gegen ihre Vereinsamung und die absurden Verhältnisse an. Jeder Dank wird da zum Schlag in die Magengrube der Realität.
Für die Wiener Staatsoper ist diese Intervention ohne praktische Folgen. Die jüngste Wiener Farce wäre eine schöne Reklame für Unentschlossene gewesen, sich Olga Neuwirths „Orlando“ anzusehen und selbst ein Urteil zu bilden. Dafür kam sie zu spät.
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