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Archiv-Artikel

Der Weg wird lang, hart und weit

Traditionell zum Saisonstart gibt es von jedem Team der Bundesliga ein Mannschaftsfoto, offiziell und doch wenig beachtet. Was aber sagen die Bilder über Zustand und Chancen der Teams? Eine Bildbetrachtung der vier Nordclub-Fotos mit den Medienwissenschaftlern Vinzenz Hediger und Markus Stauff

Interview: Klaus Irler

taz: Herr Hediger, Herr Stauff, in welcher Bildtradition steht das Mannschaftsfoto?

Vinzenz Hediger: Die Mannschaftsfotos stehen in Bildtraditionen der Industriefotografie, handelt es sich doch um Belegschaftsfotos. Auf dem Mannschaftsfoto wird die Mannschaft als Belegschaft eines Unternehmens dargestellt. Die Verknüpfung von Mannschaftsfußball und Industrie ist historisch gegeben: Viele traditionelle Bundesligaklubs sind Werksmannschaften oder kommen aus Industriegebieten. In diesem Fall ist das ersichtlich am Beispiel von Wolfsburg, das so etwas wie die Werksmannschaft von VW ist.

Von konventionellen Belegschaftsfotos würde man erwarten, dass sie auch die Hierarchie innerhalb des Betriebs kenntlich machen. Wie lässt sich auf den Mannschaftsfotos Hierarchie innerhalb des Teams erkennen?

Markus Stauff: Es gibt hier keine Hierarchie, die Anweisungen gibt, sondern eine Differenzierung innerhalb der Mannschaft: Wir haben beispielsweise die Torhüter immer vorne in der Mitte, hinten haben wir meistens zentral einen Verteidiger und wir haben den Trainer immer am Rand. Aber es gibt keine Hierarchie in dem Sinne: der Anweisende, der Trainer steht oben. Wobei bei Hannover auffällt, dass Ewald Lienen deutlich ein Stück nach außen gerückt ist, dadurch natürlich eine besondere Position einnimmt.

Auffällig ist auch, dass Werders Trainer Thomas Schaaf und Wolfburgs Trainer Holger Fach sich nicht durch ihre Kleidung von den Spielern abheben. Darf man daraus schließen, dass die beiden Trainer eine größere Nähe zum Team haben als ihre Kollegen?

Hediger: Auf dem Werder-Bild werden die Differenzen kaschiert, aber sie sind da. Die Trikots des technischen Stabes scheinen dieselben zu sein wie die der Spieler, doch der Schnitt ist anders, handelt es sich doch um Poloshirts mit einem Querstreifen. Wie überhaupt das Bild angelegt ist, als ginge es um Tarnung: Die Mannschaft verschmilzt farblich mit dem Hintergrund, der grüne Streifen im Vordergrund geht im Rasenstreifen auf. Unter anderem wird so suggeriert, dass Trainer und Stab etwas näher an der Mannschaft dran sind, als wenn sie sich farblich unterscheiden würden.

Was sagt die Körpersprache der Spieler auf den Bildern?

Hediger: Generell ist es ja so, dass das Mannschaftsfoto einer Reihe von festgelegten Konventionen folgt. Der Torhüter Nummer eins sitzt stets in der ersten Reihe in der Mitte, die zentralen Verteidiger stehen in der Mitte der obersten Reihe. Ob bewusst oder nicht: Die Leute, die das Foto arrangieren, haben eine klare Vorstellung davon, wie das Bild funktioniert. Deshalb darf auch jede Differenz als bedeutsam wahrgenommen werden.

Was die Körpersprache betrifft, so gibt es im Wesentlichen zwei Körperhaltungen und Gesten: In der ersten Reihe sitzen die Leute mit breiten Beinen und Händen auf den Knien. Das ist eine Bereitschaftsgeste, damit werden sportliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft dargestellt. In der zweiten Reihe stehen die Leute da mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt: Das ist eine Geste aus dem militärischen Repertoire. Das ist die Haltung die man einnimmt als Angehöriger der Truppe im Moment der Befehlsentgegennahme.

Interessant ist, dass auch der Trainer diese Haltung einnimmt, der ja doch eigentlich für die Befehlsausgabe zuständig ist. Daraus könnte man schließen, dass die primäre Hierarchie, die das Foto darstellt, durch den Blick des Betrachters geschaffen wird, denn diesem bieten sich Mannschaft und Stab als potentielle Befehlsempfänger dar. Üblicherweise ist der Blick, den das Mannschaftsfoto einlädt, der Blick des Fans. Es könnte aber auch der Blick der Sponsoren sein …

Zur Adressierung der Fans passt auch die Wahl der Kulisse: die Mannschaft im Stadion – mit Ausnahme von Wolfsburg.

Hediger: Tatsächlich posieren die Teams meist vor der Tribüne, womit der Zusammenhang von Mannschaft und Fans noch einmal betont wird. Über die Farbgebung und über die Komposition wird eine Verschmelzung der Mannschaft mit den Fanplätzen im Hintergrund angestrebt.

Stauff: Weitere implizite Hierarchie ist dadurch gegeben, dass die Mannschaft immer hinter der Tafel der Sponsoren steht und natürlich die Hab-Acht-Stellung auch eine Positionierung für die Sponsoren ist. Wir haben nochmal geschaut im Internet auf der Seite der Bundesliga, der DFL, und da fällt auf, dass das Mannschaftsfoto kein beliebter Typus von Foto ist. Die Mannschaften präsentieren sich größtenteils über individualisierende Spielszenen, so dass da deutlich wird: Das Mannschaftsfoto gibt es, weil es für die Sponsoren notwendig ist.

Was ist daraus zu schließen, dass die Wolfsburger als Einzige ihr Foto vor dem Stadion gemacht haben?

Hediger: Die Botschaft bei Wolfsburg soll sicherlich sein, dass eine Werksmannschaft vorgestellt wird. Es ist ein „Corporate Space“, ein Geschäftsraum, in dem die Mannschaft da inszeniert wird: Eine blickabweisende Spiegelfassade als Hintergrund. Das ist einer Mannschaft angemessen, die das Retortenprodukt einer Firmenstrategie ist. Interessant ist auch, dass dieses Bild das am wenigsten symmetrische ist: Der Schriftzug oben ist nicht im Zentrum, er läuft weg von der Mannschaft. Auch gibt es jemanden, der nicht direkt in die Kamera schaut. Das ist Bild einer etwas heimatlosen Mannschaft, die auch von zentrifugalen Kräften durchdrungen scheint.

Sind also beim Foto des HSV auch die Bierbänke, die links und rechts zu sehen sind zu deuten oder ist das ein Versehen?

Hediger: Ein Versehen, gewiss, aber ein bedeutsames.

Stauff: Der HSV will sich offensichtlich mit dem weiten Horizont dieser ganz großen Zuschauerfläche, die hinten zu sehen ist, als ein großer Verein inszenieren. Allerdings wird aus Versehen so etwas wie eine Wahrheit einsichtig, indem diese schäbigen Bierbänke rechts und links herausragen. Das steht in großem Kontrast zu dieser ansonsten sehr raumgreifenden Inszenierung. Zu diesem Widerspruch gehört auch die Art und Weise wie die etwas zusammengeknautschten Puma-Taschen rechts und links an die Werbebande gestellt wurden. Das gibt zusammen mit den Bierbänken ein verräterisches Indiz dafür, dass der Verein seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird.

Hediger: Interessant ist auch, wie die Körpergröße der Spieler organisiert wird. Am besten gelingt das Werder: Dieses Team ist hochgradig symmetrisiert. Drei Reihen, fast alle homogen in der Körpergröße, dicht an dicht aufgestellt – da herrscht System. Beim HSV dagegen ist die Aufstellung in ansteigenden Bögen organisiert: Unten ist es einigermaßen gerade durchlaufend, oben gibt es dann mit Daniel van Buyten einen Bogen, der auch in den anderen Reihen aufsteigend nachvollzogen wird.

Hannover dagegen sieht ähnlich aufgeräumt aus wie Werder.

Stauff: Was bei Hannover allerdings eine gewisse Provinzialität und vielleicht auch Armut im Vergleich zu den anderen Vereinen signalisiert, ist die viel zu klein gewählte Zuschauertribüne im Hintergrund, wo im Mittelpunkt eine Betonfläche steht, die genau die Zuschauer ausspart. Weiteres bezeichnendes Merkmal bei Hannover ist, dass die Werbebande genau die wichtige Geste der Angriffsbereitschaft der Spieler verdeckt. So dass dieses Bild sehr viel defensiver wirkt, als die anderen Bilder.

Hediger: Für alle Bilder gilt, dass sie eine quasi-militärische Disziplin suggerieren. Das ist historisch nicht immer so gewesen.

Stauff: Als es im Fußball mit den Mannschaftsfotos in den 1920er anfing inszenierten sich gerade die Fußballer als Individualisten, nicht zuletzt, um sich vom steifen und kollektiven Turnen abzuheben. Da gab es die Mannschaftsfotos, wo rechts einer auf einer Bank lag, links einer stand, in der Mitte einer in den Himmel schaut. Mittlerweile hat da eine absolute Standardisierung stattgefunden: Das Mannschaftsfoto hat die militärische Disziplin übernommen, hat dafür aber insgesamt an medialer Aufmerksamkeit verloren. Einem Fußballgeschäft, das von der Vermarktung von Stars lebt, ist das Mannschaftsfoto nicht mehr angemessen. Es zwingt alle, gleichzeitig in eine Richtung zu schauen und ist somit ein Relikt der Disziplinargesellschaft.

Ihre Erfolgsprognose für die vier Mannschaften im Fazit?

Hediger: Werder positioniert sich mit dem Foto als gefährlicher Außenseiter, mit dem zwar alle rechnen, aber den sie nicht so richtig einschätzen können. Die Farbkomposition könnte man vergleichen mit einem Tarnfarbenmuster – das sieht aus wie ein Tiger im Dschungel und könnte auf das Außenseiterpotenzial, das Sprungpotenzial der Mannschaft verweisen. Klar ist, dass die Mannschaft über eine straffe Organisation verfügt: Die wissen, wie sie sich aufstellen müssen. Allerdings wird das in der Champions-League-Qualifikation gegen den FC Basel nicht viel helfen.

Stauff: Der HSV hat angesichts der Bierbänke höchstens die Chance, als ein Trash-Team durchzukommen – ein Team, das gerade dadurch, dass es chaotisch mit diversen Fehlern spielt unberechenbar wird und vielleicht darüber eine Chance hat.

Bei Wolfsburg bleibt das Problem, dass es eine Werksmannschaft ist, eine zusammengewürfelte Truppe, was das Bild überdeutlich sagt. Das Bild gibt keine Auskunft darüber, ob sie sich in ihrem Stadion heimisch fühlen.

Hediger: Die Mannschaft steht ja fast schon auf dem Bahnsteig des gegenüberliegenden Bahnhofs, wo der ICE nach Berlin fährt. Und die meisten Spieler wohnen ja auch in Berlin.

Das Bild von Hannover ist ein Bild von Biederkeit. Hoffen wir mal, dass Ewald Lienens exzentrische Position nicht besagt, dass er frühzeitig gefeuert wird. Aber er steht da schon ein bisschen abseits. Und die Sporttaschen und die Kühlboxen zeigen an, dass der Weg aus der Provinz lang, hart und weit sein wird.