: Kreativ in Bewegung
Individualität statt perfekter Nachahmung: Körperwahrnehmung spielt bei der Tanzpädagogik eine entscheidende Rolle. „Wer den Drang hat, auf der Bühne zu glänzen, ist bei uns verkehrt“
von Christoph Behrends
„Ich sehe meine Freunde kaum“, seufzt Lara Schmidt, „tagsüber sind alle beschäftigt, und abends muss ich arbeiten“. Die 28-Jährige lehrt als staatlich geprüfte Tanzpädagogin in Sportvereinen, Fitnessstudios und in Tanzschulen – da bleibt das soziale Umfeld schon mal auf der Strecke. Andererseits, sagt Schmidt, „habe ich tagsüber viel Freizeit und eine Menge Spaß daran, mich viel zu bewegen und mit Menschen zu arbeiten“.
Drei Jahre dauerte ihre Ausbildung zur Lehrerin für Tanz und tänzerische Gymnastik. Schmidt absolvierte sie nach dem Abitur an der privaten Erika Klütz Schule, neben der ebenfalls privaten Lola Rogge Schule die einzige Einrichtung, die ein entsprechendes Studium in Hamburg anbietet. Im Mittelpunkt, erklärt Fred Eckhard, Leiter der Erika Klütz Schule, steht dabei das Erlernen unterschiedlicher Tanztechniken, denn „erst, wenn unsere Auszubildenen die Tanzstile selbst erlernt haben, können sie sie vermitteln“. Darüberhinaus werde die Fähigkeit geschult, „den Körper in Raum, Zeit und Kraft differenziert einzusetzen“.
Mit Ballett- oder Musicalinszenierungen hat Tanzpädagogik nichts zu tun. „Wer den Drang hat, auf der Bühne zu glänzen, ist bei uns verkehrt“, stellt Christiane Meyer-Rogge-Turner, die die Lola Rogge Schule leitet, klar: „Ich interessiere mich nicht für Bravourstücke und perfekte Nachahmung, sondern für die individuelle Kreativität. Körperwahrnehmung spielt eine große Rolle.“
Tanz als „Ausdruck seelischen Erlebens“
Der Ansatz beider Schulen beruht auf den Überlegungen des Tanztheoretikers Rudolf von Laban, der das Ballett als historisch erstarrte Form ansah und Tanz stattdessen als „Ausdruck seelischen Erlebens“ etablieren wollte. Gelehrt wird deshalb neben Jazztanz, tänzerischer Folklore oder Akrobatik auch tänzerische Improvisation und Gestaltung; im Theorieteil werden Pädagogik, Psychologie, Methodik, Tanzgeschichte und funktionelle Anatomie vermittelt.
„Pädagogen müssen Menschen fürs Tanzen begeistern und analysieren können, warum sich jemand nicht so bewegen kann, wie er will. Dafür sind Kenntnisse der Anatomie wichtig“, sagt Eckhard. Um zu lernen, „den eigenen Unterricht kritisch zu betrachten“, ist schon während der Ausbildung Praxis gefordert. Deshalb finden beispielsweise an der Lola Rogge Schule „Laientanzstunden, die von den Schülern assistiert werden“, statt: „Da muss sich der Unterrichtsstoff bewähren“, so Meyer-Rogge-Turner.
Dass die beiden Schulen privat sind, bedeutet nicht, dass sie jeden aufnehmen. Das Bewerbungsverfahren für die jährlich am 1. Oktober beginnende Ausbildung verlangt den Anwärtern einiges ab: rhythmisches Gefühl, Musikalität, Auffassungsgabe und Einfühlungsvermögen für Tanz und Bewegung werden getestet. Am Ende bleiben pro Jahr von 40 Bewerbern ungefähr 20 übrig. Und „von den 18 Mädchen bei der Aufnahmeprüfung haben letztlich zehn den Abschluss gemacht“, erinnert sich Klütz-Schule-Absolventin Schmidt.
„Die körperliche Belastung und psychische Herausforderung der Ausbildung sind erheblich“, bestätigt Meyer-Rogge-Turner. Und auch an das Portemonnaie werden einige Anforderungen gestellt. Zwar ermöglicht die staatliche Anerkennung der Schulen eine BAföG-Unterstützung, doch die reicht angesichts der monatlichen Gebühren zwischen 230 und 350 Euro selten aus. „Entweder werden die Schülerinnen von ihren Eltern unterstützt, oder sie arbeiten nebenbei“, so Meyer-Rogge-Turner. Für Lara Schmidt kam dies nicht in Frage: „Die Arbeitsbelastung während der Ausbildung ist sowieso schon immens hoch“, sagt sie. „Und Jobs, in denen sich viel bewegt werden muss, sind schon aufgrund der körperlichen Belastung nicht drin.“
Selbständige sollten „auf mehreren Füßen stehen“
Ist der Abschluss glücklich geschafft, bleibt den meisten Tanzpädagoginnen – gerade mal fünf Prozent der BewerberInnen für die Lola Rogge Schule sind Männer – nur der Weg in die Selbständigkeit. Freiberuflerinnen sollten versuchen, „auf mehreren Füßen zu stehen“, rät Meyer-Rogge-Turner: „Wenn ein Engagement wegbricht, kann es durch andere aufgefangen werden.“
Lara Schmidt hat sich an diese Empfehlung gehalten. Ballett, Jazzdance, Kindertanz und Salsa Styling – Salsa als Gruppentanz – zählen zu ihrem Programm. Eine Weiterbildung zur Rückenschulleiterin sowie Scheine in Aerobic- und Aquatrainer-Kursen erweitern zusätzlich ihre Arbeitsmöglichkeiten. „Abwechslung ist wichtig“, sagt die 28-Jährige, die nebenbei gerade eine berufsbegleitende Ausbildung zur psychotherapeutischen Tanztherapie absolviert, mit der sie Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Neurosen und Psychosen helfen will.
„Reich werden“, resümiert Schmidt, „kann man mit dem Job nicht, aber man kann davon leben.“ Und: „Ich sehe es so, dass ich etwas gratis bekomme, wofür andere viel Geld bezahlen. Das ist super.“
Lola Rogge Schule: www.lolaroggeschule.de, ☎ 44 45 68, nächster Eignungstest: 3. September; Erika Klütz Schule: www.kluetzschule.de, ☎ 47 00 62, nächster Eignungstest: Ende August, der genaue Termin steht noch nicht fest