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Österreich nun konservativ-grün

Erste Bundesregierung mit grüner Beteiligung ist offiziell im Amt – es ist das bisher jüngste Kabinett. Doch vor allem jüngeren Grünen stinkt der Deal mit der ÖVP und deren Migrationspolitik

Bundespräsident Van der Bellen mahnte, die Grund- und Freiheitsrechte zu stärken

Aus Wien Ralf Leonhard

Unter enormem Medieninteresse wurde Österreichs erste Bundesregierung aus konservativer ÖVP und grüner Beteiligung am Dienstag vereidigt. Es ist das bisher jüngste Kabinett mit dem größten Frauenanteil, das die Hofburg mit den von Bundespräsident Alexander Van der Bellen unterschriebenen Urkunden verließ. Mit Alma Zadić übernimmt erstmals eine Migrantin der ersten Generation ein Ministeramt. Sie wird entsprechend von rechten Kreisen angefeindet, die FPÖ hat sich schon auf sie eingeschossen.

Wer erwartet hatte, dass sich die neue Regierungskonstellation auf die Vereidigungszeremonie auswirken würde, kennt das eingefahrene österreichische Protokoll schlecht. Im mit roter Seide tapezierten Maria-Theresien-Zimmer und vor dem Porträt der Herrscherin leisteten alle 17 neuen Regierungsmitglieder die Gelöbnisformel.

Van der Bellen gelang es in seiner kurzen Ansprache immerhin, dem Juniorpartner moralisch den Rücken zu stärken. Seine Mahnung, die Grund- und Freiheitsrechte zu stärken und „die großen Fragen unserer Zeit“ mutig anzugehen, kann als leise Kritik an der oft populistischen Sicherheitspolitik der ÖVP und ihrem Umgang mit Migranten gelesen werden. Sein Hinweis auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes, damit „Österreich auch in der Zukunft ein schönes und lebenswertes Land bleibe, ist ein klarer Appell, die Umweltagenda der Grünen nicht auf die lange Bank zu schieben.

„Dass sie sehr weiblich geprägt ist“, freut die bisherige Kanzlerin Brigitte Bierlein an der neuen Regierung. Acht der 15 Kabinettsposten werden von Frauen bekleidet. Dazu kommt Staatssekretärin Ulrike Lunacek, die im Vizekanzleramt für Kunst und Kultur zuständig ist.

Die neuen Frauen im Team von Sebastian Kurz sind allerdings fast alle Vertraute aus der Seilschaft der Jungen ÖVP. Integrationsministerin Susanne Raab und Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher sind für die Öffentlichkeit weitgehend unbeschriebene Blätter. Raab hat als Beamtin am sogenannten „Burkaverbot“ und dem Kopftuchverbot in Volksschulen mitgeschrieben. Von ihnen sind kaum feministische Akzente zu erwarten, ebenso wenig werden sich Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Karoline Edtstadler (Europa) in dieser Hinsicht hervorheben. Die Grünen Leonore Gewessler (Infrastruktur und Umwelt) und Alma Zadić können aber in ihren Ressorts Akzente setzen.

Kritik an dem Regierungsbündnis gibt es aber auch bei den Grünen: „Genießen wir die letzten Stunden ohne einen Bundeskanzler #Sebastian Kurz“, hatte Stephan Bartosch, Landessprecher der Grünen Jugend Niederösterreich, am Montag auf Twitter geschrieben. Das gibt die Stimmung bei großen Teilen der jungen Basis wieder.

Die Abgeordnete Faika El-Nagashi mit ungarisch-ägyptischen Wurzeln überlegt in den sozialen Medien gar den Parteiaustritt: „Das ist nicht meine Weltanschauung, nicht meine Haltung, nicht meine Politik.“ Sie sieht im Koalitionspapier viel zu wenig grüne Handschrift und will die von der ÖVP-FPÖ-Regierung übernommene Politik in Migrations- und Sicherheitsfragen nicht mittragen.

Erfreut, dass keine unerwarteten Belastungen auf Unternehmen zukommen, zeigt sich Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung. Schließlich bekommt die Wirtschaft bald eine Senkung der Körperschaftsteuer von 25 auf 21 Prozent. Allerdings vertritt die Wirtschaft bei der Zuwanderung eine viel liberale Linie als die ÖVP – von der Lehrlingsabschiebung bis zur Einwanderungsquote für Facharbeiter.

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