: Der verwegene Anspruch, falsch zu klingen
The Chap, die Freunde des Falschklangs, haben ihr neues Album mit dem leutseligen Titel „Digital Technology“ herausgebracht
Von Julia Lorenz
Wenn eine Band mit dem Anspruch antritt, ihre Musik solle „falsch“ klingen, muss sie sich die Frage gefallen lassen: Falsch in wessen Ohren? Bei allem Dekonstruierten, Fluiden und Verkünstelten in der Popgegenwart ist das ein fetter Anspruch. Aber The Chap, die Freunde des Falschklangs, kriegen es irgendwie hin. Erst recht mit ihrer neuen Platte „Digital Technology“, die das beinahe retrofuturistische Versprechen des leutseligen Titels in Songs zwischen elekronischem Pop, Rave und Apokalypse einlöst.
Die teils in Berlin, teils in UK lebenden MusikerInnen um den Sänger und Gelegenheitsjournalisten Johannes von Weizsäcker sind MusterschülerInnen des Meta-Pops: Bei The Chap werden Referenzenreichtum und der eigene politische Anspruch zugleich ausgestellt und ironisch kommentiert. Wohl deshalb sind die fünf ein bisschen „Kult“, ein bisschen Musicians Musicians, eine Gruppe also, die von KünstlerInnen und internationalen Medien wie Pitchfork ebenso geschätzt wird wie von der Berliner Lokalpresse und die trotzdem eher im Geheimtipp-Sektor rangiert als unter den Indie-Majors.
Gewohnt tongue-in-cheeky wird nun ihr neuntes Album beworben: Es solle sich anhören, als versuche eine Künstliche Intelligenz zu klingen „wie talentierte Europäer im Jahr 2019“. Natürlich sind da schon wieder paar Scherze versteckt. Die (vermeintlich) stolze Bezugnahme auf den paneuropäischen Charakter der britisch-griechisch-deutschen Gruppe. Überhaupt zieht sich die ambivalente Bewertung des Konzepts „Europa“ durch die mittlerweile 20-jährige Geschichte von The Chap. Vor zehn Jahren, auf dem Höhepunkt der „Eurokrise“, bildeten sie auf dem Cover ihres Albums „Well Done Europe“ eine mächtige Explosion ab.
Auch der Verweis, die Band habe sich in eine KI verwandeln wollen, führt in die Irre. Denn nichts an den Songs auf „Digital Technology“ klingt transhuman. Mit seinen flötenden Synthesizern und dem glöckchenhellen Geklingel hört sich schon der Opener „Bring Your Dolphin“ trotz des Uptempo-Beats so rührend antiquiert an, dass man gleich nostalgisch draufkommt. Überhaupt ist wenig Hoffnung auf „Digital Technology“, auch wenn nicht alle Songs so dystopisch bollern wie „I Recommend You Do The Same“. Da ist die geloopte Syntesizerfigur in „Pea Shore“, die wahlweise an die Computermusik-Pionierarbeiten von Laurie Spiegel oder fließendes, klares Wasser erinnert und plötzlich von einer Roboterstimme aus der Rumpelkammer des Unterbewusstseins gestört wird.
Raunt die tatsächlich „progress“? Wiederholt sie – oder eine ihr verwandte Stimme – im unerbittlichen Techno-Krautrock-Stück „Merch“ („Ware“) beharrlich den Songtitel, und ist das irgendwie Konsumkritik – oder sind wir Deppen, wenn wir uns so einfach beeindrucken lassen, sobald jemand den Referenzrahmen „schlaue Musik“ eröffnet hat? Die Beats in Songs wie „Help Mother“ klingen physisch, fast greifbar; die Arpeggios glaubt man umherfliegen zu sehen.
Technik hört sich auf „Digital Technology“, trotz aller Untergangsstimmung, nach etwas Beherrschbarem an, nach etwas, das dem Menschen Prothese, nicht Substitution ist, aber trotzdem beängstigend bleibt. Am Ende des letzten Stücks „Don’t Say It Like That“ ertönt nach einigen Sekunden Beinahe-Stille – als letztes Aufbäumen – noch einmal das seltsame Geräusch, das sich durch den gesamten Song gezogen hat: Ein irgendwie enerviert, irgendwie resigniert klingendes „Awwwwoah“, das ein Elefantentröten sein könnte, die verfremdete Stimme von Weizsäckers oder halt was Programmiertes. Klingt theoretisch falsch. Aber als Abschluss dieses Albums auch ganz logisch.
The Chap: Digital Technology (Staatsakt/Bertus/Zebralution), Veröffentlichungstermin: 10. 1., Konzert: 22. 1., Kantine am Berghain
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