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Forsche Tempowechsel

Wilde Verfolgungsjagden, ein Schlagersänger, der kurz an den jungen Helge Schneider erinnert, und gnadenloses Fantum: „Jam“. Halt wieder ein Meisterwerk des japanischen Regisseurs Sabu

Von Detlef Kuhlbrodt

Auf der Berlinale und anderen internationalen Filmfestivals ist der japanische Regisseur Sabu, mit bürgerlichem Namen Hiroyuki Tanaka, seit Langem ein gern gesehener Gast. Sein Debütfilm „Dangan Runner“ wurde 1997 in der Reihe Panorama gezeigt. Seit „Monday“ bin ich sozusagen Fan. Die Aufführung des Films – 2000 im Forum-Programm der Berlinale – gehört zu meinen schönsten Kinoerinnerungen. Unvergesslich auch, wie der Regisseur 2003 vor das Publikum des Delphi-Filmpalasts trat und sagte: „Ihr kennt mich schon gut, danke. Ich bin Sabu, der geniale Regisseur. Der Film, den ihr jetzt sehen werdet, ist etwas anders als meine bisherigen Filme, aber trotzdem wieder ein Meisterwerk.“

Die meisten seiner parodistisch-existenzialistischen Filme hatte ich auf der Berlinale gesehen und es war immer schön, in der Schlange mit anderen Sabu-Fans zu fachsimpeln, und man war auch ein bisschen stolz, als dann mit „Mr. Long“ einer seiner Filme im Hauptprogramm der Berlinale lief, obwohl man das Forum-Programm und die kleineren Sabu-Filme eigentlich lieber mag.

Thematisch blieb sich Sabu auch in seinen großen Produktionen treu. Seine Helden sind kleine Angestellte, Hausfrauen, Gangster – geworfen in aberwitzige Situationen, in eine Welt, die der Film dann in unterschiedlichen Tempi durchbuchstabiert. Der Handlungsspielraum ist eng, das Buch des Schicksals geschrieben.

Vom Versuch der Angestellten des Himmels, ein Schicksal umzuschreiben, erzählt „Chasuke’s Journey“ (2015 im Wettbewerb der Berlinale); von schrecklichen Reisen zum schönsten Moment des eigenen Lebens mittels einer an einen Taucherhelm erinnernden Schreibmaschine handelt „Happiness“ (2016), ein im zweiten Teil verstörender, kaum noch gebrochener Horrorfilm.

„Jam“, sein vorletzter Film aus dem Jahr 2018 (Sabu ist recht aktiv), der zwischen den Jahren hier in die Kinos gekommen ist, knüpft an die Erzählweise seiner frühen Filme an. Es gibt leicht parodistische Szenen, schwarzen Humor, Verfolgungsjagden, Action und schöne Tempowechsel.

Drei Geschichten werden abwechselnd erzählt, um in einem fulminanten Finale aufeinanderzustoßen beziehungsweise zueinanderzufinden: Die von Hiroshi, einem immer noch gut aussehenden berühmten Schlagersänger, und seinem „Fan Number One“; die von dem jungen Chauffeur Takeru, der daran glaubt, dass seine sterbende Freundin wieder gesund wird, wenn er jeden Tag drei gute Taten tut; und die des schweigsamen Tetsuo, der, gerade aus dem Gefängnis entlassen, Rache an einem früheren Freund nimmt und ansonsten seine alzheimerkranke Großmutter im Rollstuhl durch menschenleere Gegenden schiebt.

Der Film nimmt sich viel Zeit für den Enkasänger Hiroshi. Enka ist ein japanisches Schlagergenre, das in den 1950er und 1960er Jahren am populärsten war. Die Liedtexte handeln häufig von Einsamkeit. Wikipedia berichtet außerdem von einem japanischen Sprichwort, in dem es heißt: „Enka ist Sake, Tränen, Frau und Mann“.

Drei Geschichten werden im Wechsel erzählt, die im fulminanten Finale aufeinanderstoßen

Man sieht Hiroshi im roten Scheinwerferlicht mit samtener Stimme seinen Schmacht­hit vortragen, mit ritualisierten Publikumseinsätzen, und das ist alles ganz herrlich und erinnert kurz auch an den jungen Helge Schneider, im nächsten Bild sieht man den Sänger mit nassen Haaren und Handtuch über den Schultern im weißen Licht auf der Bühne sitzen und den Fragen seiner Fans zuhören.

Es ist nun wie eine Szene aus einem Dokumentartheater: Eine Frau spricht von der großen Bedeutung eines seiner Lieder für ihr Leben. In poetischen Bildern spricht sie von ihrer ästhetischen Erfahrung und verliert fast die Fassung, weil die Erinnerung an Naturspaziergänge mit ihrem letzten Mann, die durch Hiroshis Lied wieder lebendig wird, sie überwältigt. Der Star bedankt sich mit ernstem Gesicht. Dann wird von einer Frau die Ordnung der Lieder in einem Detail infrage gestellt, was wiederum von einer anderen Frau, Masako, abgelehnt wird. Hiroshi versucht beiden recht zu geben, und später lauert ihm Masako – der „Fan Number One“ – auf, kidnappt den Sänger nach diversen Verwicklungen und zwingt ihn, ein Lied für sie zu schreiben, das er dann bei seinem nächsten Konzert singen soll.

Es gibt wilde Verfolgungsjagden in „Jam“, die Verfolgungsjagden alter Sabu-Filme zitieren, die jungen Gangster rauchen gerne zu zweit und glauben an das Karma. Man versucht sich kurz an psychoanalytischen Ausdeutungen: das Mikrofon wäre also der Phallus, für den LED-Kugelschreiber, mit dem der Fan Number One den sympathischen Taxifahrer bedroht, gilt Ähnliches, und am Ende wird Masako zur Rakete, die das Herz des Sängers trifft.

Das Ende ist der Anfang. Das Rad dreht sich weiter. Ein schöner Film.

„Jam“: (teilweise nur noch Sa./So.) im b-ware!Ladenkino, City Kino Wedding, Lichtblick, fsk, Sputnik, Brotfabrik

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