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Das Mögliche ausprobieren

Das Vorübergehende und Unbeachtete interessierte Adolph Menzel ebenso wie die große Geschichte. Eine intime Ausstellung seiner Arbeiten auf Papier im Kupferstichkabinett

Adolph Menzel, „Die Schlittschuhläufer“, 1855/56, schwarze, weiße und farbige Kreiden Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett/Dietmar Kranz

Von Katrin Bettina Müller

Pardauz! Den Herrn mit Zylinder rechts hat es schon nahe der verschneiten Böschung hingeworfen auf dem Eis, ein zweiter Schlittschuhläufer droht gleich über ihn zu stolpern. Elegant dagegen gleitet links ein Dreiergrüppchen auf den Betrachter zu, die Dame in der Mitte wird von beiden Kavalieren an der Hand gehalten. Das Auge braucht Zeit, um in das Gewoge der weiteren Schlittschuhläufer hinter diesen Szenen in dem 1855/56 entstandenen Pastellbild von Adolf Menzel einzutauchen. Ist es Nebel, ist es die Dämmerung, die die winterliche Landschaft verdunkelt und verschwimmen lässt? Allein der Schnee auf den Böschungen des zugefrorenen Sees im Berliner Tiergarten reflektiert noch Licht. Schwarze und farbige Kreiden sind hier in Wischtechnik eingesetzt, die dünnen Linien Schnee, die auf den Ästen der Bäume um den See herum leuchten, wirken so leicht, als könne man sie wegpusten.

Dieses Pastell von Adolph Menzel wurde erst 2019 für das Berliner Kupferstichkabinett erworben und gab damit Anlass zu der dortigen Ausstellung „Menzel. Maler auf Papier“. Berlin ist eine Menzel-Stadt: nicht nur weil der Maler (1815 bis 1905), von einigen Reisen abgesehen, immer in Berlin lebte, sondern auch weil die Staatlichen Museen viel von ihm besitzen. 70 Werke in der Alten Natio­nalgalerie, 6.000 im Kupferstichkabinett.

1855, in dem Jahr, als die Arbeit an den Schlittschuhläufern begann, war Adolph Menzel in Paris gewesen und in der Begegnung mit dem französischen Impressionismus Ermutigung für malerische Experimente gefunden, die auch ihn interessierten: das Bestimmte neben das Unbestimmte zu setzen, Schemenhaftes neben genauer Dinglichkeit gelten zu lassen und den Malmitteln, den Farben und dem Grundton, hier des Papiers, Eigenständigkeit zuzugestehen. Das war ein Vorgriff auf die Moderne, den wir heute mit großem Genuss anschauen können und der auch viele der Ölgemälde und ­Ölstudien Menzels in der Sammlung der Alten Nationalgalerie so lebendig macht. Als viele dieser Werke entstanden, blieben sie freilich öffentlich unbeachtet, der Maler selbst hielt sie zurück. Erst die Anerkennung der französischen Impressionisten in Deutschland, etwa durch Hugo von Tschudi, seit 1896Direktor der Nationalgalerie, öffnete die Augen für den experimentellen Menzel, der eben viel mehr als jener Maler Preußens war, der mit ­Szenen aus dem Leben Friedrichs des Großen Furore gemacht hatte.

Die Leerstelle als Atempause

Er hüpft, einen Pinsel im Mund, zwischen den Farbflecken herum, als würden sie mit ihm tanzen

Menzel war seit 1853 Mitglied der Königlichen Akademie der Künste, 1898 wurde er in den Adelsstand erhoben. Drei Jahre lang, 1863 bis 1866, stand ihm im Berliner Schloss der Gardes-du-Corps-Saal als Atelier zur Verfügung, und er empfing hier 130 Militärs, Hofchargen und Aristokraten zu Porträtsitzungen, um das monumentale Gemälde „Krönung Wilhelms I. zu Königsberg“ vorzubereiten. Diese vielen Einzelstudien, von denen man Skizzen im Kupferstichkabinett sieht, die schon damals erworben wurden, trugen ihm den Ruf des Realisten ein.

Historienszenen und Repräsentation aber bilden nur einen Strang im Werk Menzels. Die Ausstellung im Kupferstichkabinett betont mit 100 Werken eine intimere, von Entdeckerfreude und Interesse an den Möglichkeiten der verschiedenen Techniken bestimmte Seite des Malers. Chronologisch geordnet erzählt die Ausstellung über seinen Umgang mit farbigen Kreiden, Aquarell und Gouache-Farben und der Mischung der Mittel für atmosphärische Effekte. Es ist wie ein Blick in eine Werkstatt, und das zu betonen tut neueren Ausstellungen gut.

Man sieht Wolkenstudien und winterliche Weiden am Ufer, brennende Fabriken in der Nacht und rauchende Schornsteine und schaut all das jetzt immer mit einem doppelten Blick an, einmal auf das Sujet gelenkt und einmal auf die Malweise, die vieles offen- und unfertig ließ, als Stilmittel der Beiläufigkeit.

Von seinen Stadtlandschaften weiß man, dass Menzel der unfertige Rand der Stadt, Baustellen und Hinterhöfe, fast Leerstellen in der Landschaft, inte­ressierten und nicht die damals von Schinkel repräsentativ neu gestaltete Stadtmitte. In den Arbeiten auf Papier nun wird die Leerstelle zur Atempause, zum Offenhalten von Möglichkeiten.

Adolph Menzel, „Hand des Künstlers mit Farbnapf“, 1864, Gouache und Aquarell Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett/Jörg P. Andres

Dass es nicht um die große Bildbehauptung, sondern oft um das Vorübergehende geht, das im Schweifen des Blicks mitgenommen wird, macht den Charme vieler Szenen aus. In der Alten Nationalgalerie hängt Menzels berühmtes Bild der „Berlin-Potsdamer Eisenbahn“ von 1947, das als eine der erste Industrielandschaften gilt. Im Kupferstichkabinett sieht man nun zwei Porträts einer Dame und eines Herrn im Eisenbahncoupé (von 1859); sie schaut aufgeregt, vielleicht die Abfahrt abwartend, aus dem Fenster; man glaubt in dem Kreidebild das nervöse Rascheln ihres Capes zu hören. Er dagegen gähnt und lehnt schwer in seinem Sitz.

Das erstarkende Bürgertum Preußens konkurrierte mit dem Adel in den repräsentativen Gesten, auch das hat Menzel viele Porträtaufträge eingebracht. Aber es scheint, dass er auch einen Blick für die Kehrseite hatte, den unbeachteten Moment, die noch nicht hergestellte Ordnung, wenn er zum Beispiel aus ungewohnter Perspektive, von schräg oben, den Rücken einer Dame porträtiert, die sich im Theater mit ihrem Opernglas weit vorgebeugt hat. Menschen, die nicht auf ihn, den Maler, sondern etwas anderes fokussiert sind oder gar zerstreut, nicht gerade auf ihrer geistigen Höhe, ziehen seinen Blick an.

1904, Menzel wurde bald 90 Jahre alt, fotografierte ihn Jacob Hilsdorf in seinem Atelier. Eine der Aufnahmen hängt im Eingang der Ausstellung. Man sieht einen kleinen alten Mann, das Skizzenbuch in der Hand, einen Stift im Mund, etwas steif und vorgebeugt stehen, Entspannung und Spontaneität ging in diesem Medium noch nicht. Die zeigt sich aber daneben, auf einem sehr kuriosen Blatt, Bleistift und Aquarell, „Ein tanzender Maler (Selbstbildnis)“. Diesmal hat er einen Pinsel quer im Mund und ein ganzes Bündel in der erhobenen Hand und hüpft mit hochgezogenen Knien zwischen den Farbflecken herum, als würden sie mit ihm tanzen.

„Menzel. Maler auf Papier“, Kupferstichkabinett, Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. + So. 11–18 Uhr, bis 19. Januar.

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