Kein Auf und Ab

Toshiki Okadas Stück „The Vacuum Cleaner“, aufgeführt an den Münchner Kammerspielen, ist so aufregend wie eine Stunde Staubsaugen – was zum Thema des Abends passt: erwachsene Nesthocker

V .l. n .r.: das Ensemble, bestehend aus Julia Windischbauer, Walter Hess, Damian Rebgetz, Annette Paulmann, Thomas Hauser Foto: Julian Baumann

Von Annette Walter

Matthias Lilienthal holt während seiner Intendanz an den Kammerspielen München, die sich in dieser Saison dem Ende neigt, immer wieder spannende Regisseur*innen und Künstler*innen aus der ganzen Welt an sein Haus. Einer davon ist der Japaner Toshiki Okada, Ende 40 – und einer der interessantesten Dramatiker seines Landes. Er inszeniert nun bereits zum vierten Mal in München. Von ihm waren bereits zuvor die Arbeiten „Hot Pepper, Air Conditioner and The Farewell Speech“, „No Sex“ und „Nō Theater“ zu sehen.

In seinem neuesten Stück nimmt sich Okada des Phänomens der „Hikikomori“ an. Das sind Menschen, die oft bereits weit über 40 Jahre alt sind, aber immer noch bei ihren Eltern leben und sich komplett von der Außenwelt isoliert haben. Sie formulieren damit ihren passiv-aggressiven Widerstand gegen die Forderungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, die sie als Zumutungen erleben. Einige von ihnen hatten bereits als Kinder und Jugendliche in der Schulzeit Schwierigkeiten, weil sie angeblich zu empfindlich oder aufsässig für das Bildungssystem Japans sind – denn das setzt auf Anpassung und Unterordnung. In Japan soll es rund eine Million Hikikomori geben. Der Regisseur bekennt im Programmheft, dass er Glück hatte , selbst kein Hikikomori geworden zu sein.

Okada lässt seine fünf Schauspieler*innen in einem visuell starken, klaustrophobischen und verschachtelten Bühnenbild agieren. Es zeigt das karge Innenleben eines angedeuteten Hauses mit transparenten Wänden, Schiebetüren und Treppenhaus: eine Wohnung ohne Möbel, in der die Bewohner freiwillig gefangen sind. Die Leere dieses Raumes symbolisiert die innere Verlorenheit der Protagonisten; Privatsphäre gibt es hier für keinen, zu tun ist nichts. Die Insassen gehen sich die meiste Zeit auf die Nerven.

Homare (Annette Paulmann) lebt hier bei ihrem alten Vater Chôhô (Walter Hess). Die Mutter ist schon gestorben. Chôhô geht allen anderen auf den Keks, indem er Zeitungsartikel nacherzählt. Staubsaugen ist eine tägliche Aufgabe von Homare, unklar bleibt, womit sie sonst die Zeit totschlägt. Besonders sympathisch ist diese Frau, die häufig schreit, bei alledem nicht.

Auch ein weiterer Sohn, Richigi (Damian Regbetz), hängt in der Wohnung herum. Der einziger Lichtblick in dieser dysfunktionalen Familie ist Deme (Julia Windischbauer): Sie gibt aufmunternde Ratschläge, die aber ohne Effekt verhallen. Irgendwann taucht ein Freund von Richigi auf, Hide (Thomas Hauser). Lang und breit erzählt er von seinem öden Job in einem Warenlager, den er nur vier Tage aushielt.

Die Leere des Raumes symbolisiert die innere Verlorenheit der Protagonisten

So vertändeln alle Beteiligten ihre Zeit mit absurden Dialogen und wilden Phantastereien. Homare sinniert darüber, warum ihr Vater sie eigentlich noch nicht umgebracht hat. Und welche Art zu sterben sich wohl wie anfühlen würde: „Ich finde ja, dass nachts im Schlaf mit dem Kopfkissen erstickt zu werden, wirklich gar nicht geht“, sagt sie. Warum sich Homare von der Außenwelt abkapselt, erfährt man nur ansatzweise. Eine Andeutung gibt sie sogar selbst. Als sie noch jung war, kam ihr Vater ohne Ankündigung in ihr Zimmer und blaffte sie an: „Mach nicht alles zu und lass die Sonne rein!“ Seit diesem Moment war ihr die Welt da draußen tatsächlich egal. Jegliche romantische Auslegung dieses Lebens ohne Arbeit und Pflichten werden in der Inszenierung negiert. Die fröhliche Müßiggängerin ist zur schwermütigen Eremitin geworden.

Okada lässt vieles offen an diesem ruhigen und statischen Theaterabend, er gibt nur vage Antworten, psychologisiert nicht und sucht keine Antwort auf die Frage, warum sich die Familie möglicherweise verschanzt. Angesichts des Rückzugs der Hikikomori resigniert der Regisseur selbst. Die scheinbar dahingeplapperten Dialoge und das zähe Tempo der knapp 110 Minuten auf der Bühne spiegeln die totale Langeweile wider, die eine Existenz als Hikikomori mit sich bringt. Sogar als Parabel auf die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins ließe sich das Geschehen interpretieren.

Am Ende bleibt ein Satz von Homare hängen, der den Abend gut charakterisiert. Sie klagt: „Ich finde mein Leben ziemlich stumpfsinnig und monoton, es gibt kein großes Auf und Ab, keine Klimax, keine Katharsis.“ All das gilt auch das Stück „The Vacuum Cleaner“. Aus der bleiernen Trägheit der Inszenierung nimmt man einen Impuls mit: Werde bloß kein Hikikomori.