: Der Opportunist unter den Vögeln
VOGELSTREIT Die Wahl des Kormorans zum Vogel des Jahres 2010 bringt Naturschützer und Fischer gegeneinander auf: Er sei eine schützenswerte Kreatur sagen die einen, als gefrässigen Schädling bezeichnen ihn die anderen
■ … ist fast überall zu Hause, außer in Südamerika und Afrika.
■ … im mitteleuropäischen Raum ist die gänsegroße Unterart Phalacrocorax sinensis. Sie trägt ein schwarzglänzendes Federkleid, verfügt über eine Spannweite von rund 120 cm und kann 30 m tief tauchen.
■ … frisst ausschließlich Fisch. Ob aus Süß- oder Salzwasser ist ihm egal. Entgegen anderslautenden Gerüchten auch große Zuchtbrocken wie Hecht, Barsch, Forelle und Äsche. Fischer verfluchen ihn deshalb als „schwarze Pest“.
■ … beantwortet solche Schmähungen mit einem kehligen „chrochrochro“.
VON MICHAEL QUASTHOFF
„Schädling“ oder „schützenswerte Kreatur“ – über das Wesen des Kormorans liegen Tierfreunde und Fischereiwirtschaft seit Jahren im Clinch. Am Freitag zündeten Naturschutzbund (Nabu) und der Landesverband für Vogelschutz Bayern (LBV) eine neue Eskalationsstufe. Sie kürten den Phalacrocorax sinensis zum „Vogel des Jahres 2010“. Der Deutsche Fischerei-Verband (DFV) japste wie ein trockengelegter Karpfen und geißelte die Wahl als „außerhalb jeder Vernunft“, hatte aber von diesen „Fundamentalisten“ und „Negierern von Wahrheit“ nichts anderes erwartet.
Der Beweis für die Schurkerei des Kormorans, klagt Peter Mohnert, DFV-Vizepräsident, schwimme „stark dezimiert in Flüssen, Teichen und Seen“. Dort wüte der Kormoran wie in „Brehms Thierleben“ beschrieben: „Die Bäume weißt er mit Unrate“, betäubt die Ohren „mit wildem Geschrei“, seine „Gefräßigkeit übersteigt unsere Begriffe“. Er treibt „die Fischer und Fischwirte an den Rand des Ruins“, sagt Mohnert.
Das Lamento reicht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Damals ließ Kaiser Wilhelm I. seine Füsiliere ausrücken, um die gefürchteten Vielfraße zu dezimieren. Mit durchschlagendem Erfolg: In Brandenburg wurde die letzte Kormorankolonie bereits 1883 zerstört, in Schleswig-Holstein 1905 und in Niedersachsen 1919. Kurz darauf war der Vogel in Mitteleuropa praktisch ausgerottet. Er überlebte auf der roten Liste bedrohter Arten. Seit 1979 ist er EU-weit geschützt.
Eigentlich. Denn die Fischereilobby hat es geschafft, kontinentalweit so genannte „Kormoranverodnungen“ durchzudrücken. So erlaubt das deutsches Länderrecht (außer im Saarland), den Winterbeständen mit Lasergeräten oder Flinten aufs Gefieder zu rücken. Die Begründung: extreme Populationszunahme. Aber da fangen schon die Kompliziertheiten an. Fischereifunktionär Mohnert schätzt die Zahl der in Deutschland lebenden Kormorane auf 320.000, der Nabu spricht von nur 24.000 Brutpaaren. Umstritten sind auch die Auswirkungen der Bejagung. Während Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander herausgefunden haben will, dass sie „auf die Brut- und Rastbestände des Kormorans keinen messbaren Einfluss“ hat, warnen Nabu und LBV vor Aktionen wie dem „Kormoranmassaker von Anklam“, wo 2005 rund 7.000 Tiere abgeschossen wurden. Im Rahmen der „genehmigten Bestandsregulierung“ wie das auf Amtsdeutsch heißt.
Andreas von Lindeiner, LBV-Artenschutzreferent, hält „die Ballerei außerdem für völlig sinnlos“. Sie störe die Brutpflege anderer Arten und „dem Fischbestand hilft es auch nicht“. Eine diskutable These. Christian Budde, Sanders Sprecher, beziffert den Schaden, den Kormorane zwischen Elbe und Ems pro Jahr und Hektar fischereiwirtschaftlich genutzter Teichfläche anrichten auf 500 Euro. Bei 34.000 Hektar Gesamtfläche komme „da einiges zusammen“.
Doch Naturschützer bezweifeln, dass die „Meisterschwimmer“ ein Wässerchen nachhaltig trüben können. Sie fressen vor allem „häufige und wirtschaftlich unbedeutende Weißfische“, heißt es in der Nabu-Laudatio. „Edelfische“ wie Forellen, Felchen oder Äschen ständen eher selten auf dem Speiseplan. Das sei „wissenschaftlich“ belegt. Der DFV präsentiert Gutachten, die genau das Gegenteil beweisen. An der Technischen Universität München habe man herausgefunden, dass die Verluste unter Bayerns Äschen zu „96 Prozent“ auf das Konto von Kormoranen gehen.
Festzustehen scheint nur eines: Kormorane sind wie wir alle Opportunisten. Sie bedienen sich da, wo es am bequemsten ist. Der Homo sapiens aus der Tiefkühltruhe, der Kormoran im Zuchtteich. Daraus könne man „diesen hochinteressanten, schönen und überwiegend nützlichen Vögeln“ keinen Strick drehen, befand Tierschützer und Fernsehmoderator Bernhard Grzimek. Im Gegenteil. Schließlich entwickelten Kormorane bei üppigem Nahrungsangebot ausgesprochen menschliche Züge. Sie hätten viel „Freizeit“, in der sie gern „ruhen, Körperpflege treiben, balzen und spielen“.