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Archiv-Artikel

Hiroschima-Zensur in China

Die staatlichen Medien berichten über japanische Grausamkeiten im pazifischen Krieg

PEKING taz ■ Hiroschima? Wer in China vergangene Woche vor dem 60. Jahrestag der Atombombe auf Japan etwas über das Thema erfahren wollte, musste lange suchen. Auch das Internet half kaum weiter: Zahlreiche Webseiten – auf Chinesisch oder Englisch unter dem Stichwort „Hiroschima Atombombe“ aufgerufen – ließen sich nicht öffnen. Sie waren von der Zensur blockiert.

Das ging bis Samstag so. Erst als in allen Teilen der Welt des Grauens an jenem 6. August 1945 in Hiroschima gedacht wurde, durften auch die Chinesen davon erfahren: Das Staatsfernsehen berichtete in den Nachrichten von den Feierlichkeiten in Japan – allerdings weit hinter anderen Meldungen des Tags. Am selben Tag veröffentlichte die englischsprachige China Daily einen Artikel unter dem Titel „Selektives Gedächtnis ist Verrat an den Opfern von Hiroschima“, der die Trauer um die Menschen, die in Hiroschima und Nagasaki gestorben waren, mit der Klage verbindet, dass die „Atombomben für ziemlich viele Japaner die einzigen Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg“ seien. Sie versuchten, „die Gräueltaten aus dem Gedächtnis zu löschen, die Japans Kaiserliche Armee gegenüber Millionen von Menschen in der asiatisch-pazifischen Region verübt hat“.

Dieser Umgang mit Hiroschima zeigt nicht nur, wie unverhohlen Pekings Politiker die Zensur einsetzt, sondern auch, wie schwierig das Verhältnis zwischen China und Japan ist.

Kein Tag vergeht derzeit, in der die Chinesen nicht in den Medien über die Niedertracht Japans im Zweiten Weltkrieg bombardiert werden: Wie japanische Mediziner grausame Menschenversuche an ihren Gefangenen machten, sie folterten, vergewaltigten und niedermetzelten.

Dabei geht es um die Legitimität der Kommunistischen Partei, die sich immer mehr auf den „antijapanische Krieg“ stützt. So erklärte Verteidigungsminister Cao Ganchuan Anfang August in einem Artikel des Parteiblatts Wahrheit suchen, Chinas Truppen hätten eine „entscheidende Rolle“ im Sieg über Japan gespielt und seien für 70 Prozent der Verluste unter japanischen Truppen verantwortlich gewesen. JUTTA LIETSCH