Wo Schwarz­weißdenken nicht hilft

Ein Sonnenuntergang ist ein Sonnenuntergang, auch wenn selbst dort manchmal Identität hineingelesen wird. Das erste Festival „Jüdischer Literaturen“ bewegte sich jenseits von Zuschreibungen

Der Regisseur Dani Levy war zum Panel „Inszenierungen des Jüdischen“ geladen Foto: Christine Fenzl

Von René Hamann

Schon wieder die „Kosher Nostra“. Erst kürzlich tauchte diese jüdische Mafia aus dem New York der 1920er Jahre in Martin Scorseses neuem, unbedingt sehenswerten Mafia-Epos „The Irishman“ auf, wenn auch nur in einem Nebenstrang. Jetzt hat der Dichter Max Czollek, gebürtiger Berliner, einen Zyklus in seinem neuesten Gedichtband mit dem Titel „Grenzwerte“ so benannt.

Aus dem hat er auch vorgelesen auf dem Panel, das der Lyrik vorbehalten war auf dem „Festival Jüdischer Literaturen“, wohlgemerkt im Plural, das drei Tage lang erstmals stattfand mit über dreißig geladenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern sowie Gästen aus anderen Künsten wie des Films. Seinen Ort fand das Festival unter dem Dach des Literaturhauses Berlin im gediegenen Westen der Stadt, und obschon es medial etwas unter dem Radar flog und noch den einen oder anderen Geburtsfehler hatte, war es mithin gut besucht. Eine größere Öffnung jenseits der kleinen Netzwerke und Träger, die hinter dem kleinen Festival stehen, könnte es noch gebrauchen, dann könnte es eine vielversprechende weitere Belebung des Berliner Kulturkalenders sein.

Aber auch so war einiges geboten. Eva Menasse war genauso gekommen wie Dmitrij Kapitelman, Esther Dischereit, Sasha Maria Salzmann oder Adriana Altaras. Maxim Biller war für die kurzfristig erkrankte Rachel Salamander eingesprungen, um den Eröffnungsabend zu rocken, und grenzte sich gleich wohltuend von etwaigen identitätspolitischen Bestrebungen der Festivalmachenden ab: „Literatur als Unterstützung von ‚Sternchenideologie‘ interessiert mich nicht. Mich interessiert, wenn überhaupt, was Ideologie mit Menschen macht.“

Auch Robert Schindel, mittwochs auf besagtem Lyrikpanel, sprach eher belustigt vom „Fremdsein als Tankstelle“ und dem Umstand, dass er eine Zeit lang als notorischer Jude auch dann galt, wenn er nur über Sonnenuntergänge schrieb: „Die Leute lasen dann: Sonnenuntergang – und ein Jude“. Dass er inzwischen wieder stärker das Jüdischsein in seinen Texten thematisiere, nannte er süffisant eine „Alterserscheinung“.

Eine subversive Waffe

Interessant war ebenso das Panel, das die Schweizer Autorin Eva Lezzi moderierte und in dem der gebürtige Schweizer Schauspieler und Regisseur Dani Levy mit dem Schauspieler Jeff Wilbusch über „Inszenierungen des Jüdischen“ diskutierte. Levy bewies einen affirmativeren Zugang zum „Jüdischen“, ohne das identitätspolitisch behaupten zu müssen. So erklärte er den „jüdischen Humor“ für eine brauchbare, weil subversive Waffe einer unterdrückten Minderheit – gegenüber Herrschaftsformen und Autoritäten an sich. Und doch betonte auch Levy, wie wichtig Ambivalenzen seien, und dass Schwarzweißdenken nicht helfe, selbst wenn er mit diesen Ansichten gerade im deutschen Kulturbetrieb oft an Grenzen gestoßen ist.

Tatsächlich funktionieren Identitätszuschreibungen immer auch beidseitig, scheint es. Und zwischen Identität und einer idée fixe liegen nur wenige Lettern. So fand niemand in Deutschland die Figur des jüdischen Coaches Adolf Grünbaum in seinem Film „Mein Führer“ von 2007 interessant, alle haben sich nur auf die Figur des von Helge Schneider gespielten Führers gestürzt, so Levy.

Wilbusch, Kind orthodoxer Juden und in Israel aufgewachsen, berichtete von den Dreharbeiten zur Netflix-Serie „Unorthodox“ nach dem Roman von Deborah Feldman. Die Serie über eine junge Frau, die aus der jüdisch-orthoxen Gemeinde mitsamt Kind von New York nach Berlin flüchtete, startet im kommenden März. Schade nur, dass niemand auf dem Podium das Buch gelesen hatte, selbst Wilbusch nicht, und dass Feldman nicht persönlich auf dem Podium saß. Thematisch hätten sich viele Anknüpfungspunkte ergeben, besonders in Fragen von Nation und Identität, von Religion und Kultur – wie überhaupt erstaunlich wenig von Religion, viel aber von Kultur und Identität die Rede war.

So ging es auch immer mal etwas zu akademisch zu, worauf schon der ungelenke Titel „Verquere Verortungen“ dieser ersten Festivalausgabe deutete. Auch wäre ein bisschen mehr Crossover lohnenswert gewesen: eine größere Durchmischung der Panels, der Genres, der Besetzungen, vielleicht ja sogar der Identitäten. Aber ja, allem Anfang wohnt ein Zauber inne, um mal schön antizyklisch Hermann Hesse zu zitieren. Beim zweiten sieht man dann besser.