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: Ungewisse Klänge

Wie komponiert man Unschärfe? Oder drückt mit Musik die Grenzen von Wissen aus? Für den deutsch-französischen Komponisten Mark Andre gehören solche Fragen zu seinem künstlerischen Programm. Einerseits im erkenntnistheoretischen Sinn, wo es um die Begrenztheit von Wissen geht, andererseits im eher religiösen Verständnis, bei dem der Übergang zum Glauben markiert werden soll. Der in Berlin lebende Andre spricht selbst von einem „Dialog mit der Ungewissheit“.

Als Schüler von Helmut Lachenmann, der sich besonders um die Emanzipation des Geräuschs in der Musik der Nachkriegsmoderne verdient gemacht hat, verfolgt Mark Andre diesen Ansatz im Dialog von Tönen mit Nichttönen. Seine Musik spielt sich vor allem zwischen diesen Polen ab, lotet die Möglichkeiten von Instrumenten und Stimmen aus, sich in dieser akustischen Transitzone zu artikulieren.

Programmatisch heißt einer seiner Orchesterzyklen „riss“. In drei unterschiedlichen Ausformungen lässt Andre, der stillere Dynamiken bevorzugt, die Musiker Trennendes und zugleich Verbindendes ertasten. Das Ensemble Modern unter Leitung von Ingo Metzmacher vollzieht in seiner Einspielung diese oft ruhig pulsierenden, mitunter auch lauter aufbrechenden Bewegungen mit feiner Konzentration.

Ebenfalls für Orchester geschrieben hat Andre seine Komposition „hij 1“, die jetzt das WDR Symphonieorchester mit dem Dirigenten Mariano Chiacchiarini aufgenommen hat. Über weite Strecken herrscht auch hier die Stille vor, ein kaum hörbares Kratzen der Streicher etwa. Im Verlauf seiner gut zwanzig Minuten ballen sich die Klänge – und Geräusche – dann jedoch irgendwann noch einmal kräftig. Wie beim „riss“-Zyklus sind die Instrumente in „hij 1“ ganz bei sich.

Anders im zugehörigen „hij 2“ für Chor und Live-Elektronik. In diesem Fall sind das SWR Vokalensemble unter Marcus Creed zu hören, die elektronischen Anteile übernimmt das SWR Experimentalstudio. Wodurch das Hauchen, Flüstern und Zischen des Chors in seinen kaum hörbaren Nuancen wunderbar hervortritt. Tim Caspar Boehme

Mark Andre: „riss“, Ensemble Modern, Ingo Metzmacher (Ensemble Modern Medien/Harmonia Mundi)

Mark Andre: „hij“, WDR Symphonieorchester, Mariano Chiacchiarini (Wergo/Naxos)