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: Auf simple Art grandios

„Ausgeflogen/ Mon bébé“ (F 2019, Regie: Lisa Azuelos). Die DVD ist ab rund 14 Euro erhältlich.

Lisa Azuelos ist eine Autorenfilmerin, die aufs große Publikum zielt. Sie besetzt gerne Stars, und manchmal entdeckt sie auch welche, wie Sveva Alviti für ihr schönes Biopic „Dalida“. Mit „LOL“, einer Mutter-Tochter-Geschichte, Hauptrolle Sophie Marceau, hatte Azuelos 2008 einen Riesenerfolg: fast vier Millionen Besucher*innen in Frankreich. Prompt kam das Angebot aus Hollywood, aber das von Azuelos selbst gedrehte US-Remake mit Demi Moore und Miley Cirus ging eher daneben. Die französischen Bezüge sind in ihren Filmen sehr wichtig, darum lassen sie sich nicht ohne Weiteres übersetzen. Sieht man von „Dalida“ mal ab, haben Azuelos’Geschichten, da ist sie ganz Autorenfilmerin, stets autobiografische Bezüge.

In „Une rencontre“ (2014) spielt sie sogar selbst mit, die Ehefrau eines Mannes (Star: François Cluzet), der sich in eine Liebesgeschichte mit einer Fremden (Star wiederum: Sophie Marceau) hineinimaginiert. In „Mon bébé“ (der deutsche Titel „Ausgeflogen“ ist gar nicht übel) hat Azuelos nun, in der Rolle der Titelfigur, ihre Tochter besetzt, Thaïs Alessandrin. Azuelos ist im übrigen selbst die Tochter eines Stars, nämlich der Anfang des Monats verstorbenen Sängerin und Schauspielerin Marie Laforêt. Die Rolle der Mutter in „Mon bébé“ spielt jetzt die große Sandrine Kiberlain.

Und so kompliziert diese parafilmischen Verflechtungen klingen: Der Film ist auf die hinreißendste Weise ganz einfach. Kiberlain ist (wie auch Azuelos es war) die vom Mann geschiedene, als Betreiberin eines Cafés arbeitende alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Die jüngste, mon bébé, macht nun ihr Abitur, hat die Zulassung zu einer kanadischen Universität in der Tasche und verlässt das Haus. Héloïse, die Mutter, liebt und trauert, das Verhältnis zur Tochter ist wunderbar komplizenhaft, wenngleich manchmal auch schwierig.

Die Mutter filmt aus Furcht vor der bevorstehenden Trennung sentimental den banalsten Alltagsquatsch mit dem Handy, erinnert sich sentimental an die Geburt, die ihr wie gestern erscheint, erinnert sich in Flashbacks an die Trennung vom sie betrügenden Mann, an Liebschaften mit Männern, die mal ernst sind, mal lustig, nur nie von Dauer. All diese Erinnerungen und Sentimentalitäten macht der Film mit, wobei Azuelos sie zwar voll solidarisch zeigt, aber solidarisch mit Mutter wie augenverdrehender Tochter. Filmisch zeigt sie das zugleich so bewusst kunstlos und matter-of-fact, dass man noch das widersprüchlichste der gemischten Gefühle mitvollzieht und versteht.

Sandrine Kiberlain, die immer großartig ist, stolpert und stöckelt und tanzt und singt sich durch diesen Film, dass es für die Zuschauerin eine Lust ist. Sie wird vom Drehbuch nie zum Ausagieren irgendwelcher Verwicklungen und plot points genötigt, der Film ist sehr entspannt episodisch, die Szenen sind völlig alltäglich. Mutter-Tochter-Streit und -Geplänkel, Diskussionen mit den Freundinnen über Tinder und Sex, Ärger im Café mit der Hygieneaufsicht, Geburtstagsfeier mit „Tu m’oublieras“ von Larusso, dem Song, den Héloïse so sehr liebt.

Ein bisschen wie ein auf simple Art gran­dioser Popsong funktioniert auch der Film. Alles scheint Oberfläche, alles Virtuose ist einfach, die Wahrheiten sind so banal, wie sie tief sind. Man leidet und tanzt und singt (innerlich) mit. Und am Ende springt man dann auch noch aus närrischer Liebe im freien Fall in die Tiefe.

Ekkehard Knörer