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Archiv-Artikel

Wer dem Körper traut

TANZ Etwas mühsam um Inhaltlichkeit bemüht war dieses Jahr die Auswahl des Festivals Tanz im August. Höhepunkte bot es eher an sprachlosen Abenden: bei Akram Khan – und einer Performance mit Luftballons

Was geht? Zum Beispiel, dass zwei Tänzer in einem Luftballon verschwinden

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Das Dialogische, das kann bei Akram Khan eine Angelegenheit zwischen dem Taptap seiner Fußsohlen, den Schellen um seine Fußgelenke und den Percussion-Instrumenten seiner Musiker sein. Aus dem Jazz kennt man solche Sessions, die der britisch-bengalische Choreograf auf der Bühne des Hebbeltheaters als kurze Ausblicke in eine ihm wichtige Tradition von Tanz und Musik vorführte. Das Glück leuchtete ihm dabei aus den Augen über die Architekturen aus übereinandergelegten Mustern von Tönen und Bewegungen, mit raffinierten Verschiebungen der Betonungen. Und das Glück überträgt sich beim ihm auf die Zuschauer dieses gelungenen Dialogs. Das ist es wahrscheinlich, was Khan als die Spiritualität des Tanzes anspricht.

Akram Khan war mit einem Abend aus zwei Solostücken und einem sehr dramatischen Duo nicht zum ersten Mal Gast des Festivals Tanz im August und einer der wenigen Stars dieses Jahr. Er sprach vielen Besuchern des Festivals mit einer kurzen Ansprache aus der Seele: Warum beim zeitgenössischen Tanz immer mehr geredet und immer weniger getanzt würde, verstehe er nicht. Er traue dem Körper mehr als dem Geist. Der Geist sei frei ohnehin; aber innerhalb der Beschränkungen des Körpers Freiheit zu definieren und innerhalb der Regeln einer kulturellen Sprache wie dem indischen Tanz Khatak, das ist seine Herausforderung.

Tatsächlich war das Festival in diesem Jahr sprachlastig und ohne gute Englischkenntnisse vieles nicht zu genießen. Was umgekehrt heißt – ein großer Teil des Publikums ist international, mehrsprachig und gebildet. Zudem dem Augenschein nach oft jünger und queerer als das durchschnittliche Berliner Theaterpublikum. Diese Zuschauer-Heterogenität ist ein Erfolg, den sich das Festival langfristig erarbeitet hat; auch weil es so vielen Spielorten in Berlin verbunden ist, den drei HAU-Theatern und dem Podewil, den Sophiensælen und der Schaubühne, der Volksbühne und der kleinen Halle. Was das Primat der Sprache angeht, leuchtete die Notwendigkeit ihres Einsatzes mal mehr, mal weniger ein.

Für Sofia Dias und Victor Roriz aus Lissabon sind ihre (englischsprachigen) Sprachspiele eine Fortführung der Modulation der Bewegung, der kleinen Abweichungen, die sich in die Wiederholung einschleusen, dem Vor- und Rückwärtsspulen von Abfolgen, die sie perfekt beherrschen. Es sind witzige, dadaistische Momente, die aus dem Verlieren von Konsonanten und dem Verrutschen von Vokalen entstehen, langsame Umkehrungen des Sinns, die sie mit nicht minder ambivalenten Bewegungen in ihrer Performance „a gesture is nothing but a threat“ unterstrichen. Da tanzt die Sprache – und reißt das Paar mit durch Beziehungskonstellationen, die ihren eigenen emotionsgeladenen Subtext entwickelten. Das erinnerte an Stücke, mit denen sich vor mehr als zwanzig Jahren die Berliner Tanzfabrik ihren Ruhm verdient hatte.

Andere Projekte dagegen, wie „on trial together“ von den serbischen Performern Ana Vujanovic und Sasa Asentic, brauchten die Sprache als Mittel der Agitation, auf dem Weg zur sozialen Bewegung. Das Publikum wurde auf Arbeitsgruppen verteilt, die etwa eine Rede Angela Merkels von 2010, berüchtigt ob ihrer Kampfansage an den Multikulturalismus, analysieren mussten oder die Verteidigung eines vor der Räumung stehenden Kulturzentrums üben sollten. Ein äußerst pädagogisches Format mit Rollenspielen voll von künstlich inszenierter Wut und Solidarität. Es passte zum Festival, einerseits, weil unter seinen Besuchern eben auch viele Künstler waren, die sich von den beispielhaften Aufgaben angesprochen fühlten und bereitwillig mitspielten – aber es kam andererseits wenig über den von Mühsal verdeckten Charme eines Arbeitskreises hinaus.

Überraschender und spannender war ein Abend der vier Performer Peter Ampe, Guilherme Garrido, Hermann Heisig und Nuno Lucas (aus Brüssel, Berlin, Lissabon), die keinen Inhalt, sondern das Ausprobieren in den Vordergrund stellten. Was geht? Zum Beispiel, dass zwei Tänzer in einem Luftballon verschwinden und sich daraus, unter massiver Zuhilfenahme einer Luftpumpe, sozusagen neu zur Welt bringen. Kein Ungeschick und keine Albernheit fürchteten die vier, und gerade weil es ihnen nicht auf den Gag anzukommen schien, konnten sie sehr komisch sein.

Womit das Festival dieses Jahr aber geizte, waren die großen Compagnien. Carte Blanche aus Norwegen, die gegen Ende in der Volksbühne auftraten mit einer grotesken Choreografie von Sharon Eyal und Gai Behar, rissen es nicht wirklich heraus. Ihr Stück „Corps de walk“ war zwar endlich Tanz pur – mit vielen historischen Anleihen aus dem Ballett, klassisch und modern, aus der Chorus-Line der Revue und auch aus politisch-agitatorisch gebildeten Körperkollektiven. Allein die Spannung, dies alles mechanisch verfremdet zu tanzen, wie eine Aufführung wie von Puppen und Robotern, hatte sich doch bald erschöpft. Man dachte mal kurz an Kraftwerk, „Sie ist ein Model und sie sieht gut aus“, wie lang ist das jetzt her? Oh Gott.

Das Älterwerden mit diesem Festival hat schon mal mehr Spaß gemacht.