: Als Gary Barlow mich meinte
Die Autorin Anja Rützel stellte ihr Buch für die KiWi Musikbibliothek über ihre Liebe zu Take That vor
Von Jan Jekal
Vor einigen Wochen ist Gary Barlow in der Elbphilharmonie in Hamburg aufgetreten. Die Autorin Anja Rützel war im Publikum, auf einem der billigeren der teuren Plätze, viele Meter über und eigentlich eher hinter der Bühne. Jetzt zeigt sie ein Handyvideo, das sie an diesem Abend aufgenommen hat. Aus der Vogelperspektive sieht man Gary Barlow auf der Bühne stehen, ein kleiner Mann in der Ferne, an einem Punkt dreht er sich vage in Richtung Tribüne, also vage in Richtung Rützel, und macht eine kleine Handbewegung, und Rützel, das Handyvideo zeigend, ruft so glücklich wie inkorrekt: „Damit hat er mich gemeint!“
Am Dienstagabend stellte sie im Pfefferberg Theater das Buch vor, das sie für die „Musikbibliothek“ des Verlags Kiepenheuer & Witsch geschrieben hat, eine neue Reihe, in der Autorinnen Liebeserklärungen an ihre Lieblingsbands schreiben. Rützel hat über die Boygroup Take That geschrieben, deren Frontmann ebenjener Gary Barlow ist, der sich vor einigen Wochen in der Elbphilharmonie in ihre Richtung gedreht hat.
Sie liebe Take That ganz unironisch, ohne „doppelten Distinktionsboden“, und habe ihr Buch als Fan geschrieben, ohne abgeklärt-analytischen Blick, ohne Bedürfnis zur Entzauberung des Verzaubernden. Sie trägt ein Take-That-T-Shirt, während sie aus ihrem Take-That-Buch vorliest. Sie zeigt Musikvideos und sagt aufgeregt „Jetzt, jetzt!“, wenn eine Lieblingsstelle kommt, und eine Lieblingsstelle ist zum Beispiel, wenn einer der Boys, selbstredend im Regen stehend, einen Hüftschwung andeutet.
Rützel widmet sich jedem der fünf Mitglieder einzeln, erklärt, warum sie dieses Mitglied besonders gerne hat. Zu Barlow scheint sie jedoch das komplizierteste Verhältnis zu haben. Er ist ein Spießer, das Schelmische eines Robbie Williams geht ihm ab. Zwar schreibe er die Lieder, und singe sie auch, aber darüber hinaus sei er verzichtbar. „Wie ein Kleinbürger beim Talentabend im All-inclusive-Urlaub“, giftet sie, als sie ein von Barlow gesungenes Take-That-Cover von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ zeigt. (Ja, das gibt’s. Ist ziemlich übel.) So spotten kann nur jemand, der wirklich liebt.
Bei allen lustigen Anekdoten––und es gibt eine Menge lustiger Anekdoten; sie kaufte sich zum Beispiel nach einem Take-That-Konzert am Merch-Stand eine Unterhose mit der Aufschrift „Could it be magic?“ und diese Unterhose, sagt sie, „ist gerade auch im Raum“, oder sie erzählt, wie Gary Barlows Wachsfigur bei Madame Tussaud’s, als es mit seiner Solokarriere nicht so gut lief, eingeschmolzen wurde und als Rohmaterial für den Bau von Britney Spears’ Figur diente (angeblich!)––, bei allen lustigen Anekdoten also erzählt Rützel ganz viel über das Wesen der Popmusik, über Popmusik als Projektionsfläche, auch als Spiegel, als Grundlage für soziale Erfahrungen. (Natürlich dient Pop nicht zuletzt auch der Distinktion, aber darum geht es Rützel ja genau nicht.)
„Take That ist nichts ohne die Idee von Take That“, sagt sie. Popmusik sei nicht allein das, was auf der Bühne passiert, sondern auch das, was die Leute vor der Bühne, die sich in dem Geschehen auf der Bühne spiegeln, sehen. In Rützels Fall bedeutet Take That auch eine Verbindung zu ihrer Schwester, die an mehreren Punkten in Rützels Erzählungen auftaucht; Fan-Sein ist in der Regel keine einsame Beschäftigung, und die Liebe zum Pop verbindet.
Als sie da vor einigen Wochen im Publikum der Elbphilharmonie war und sich Gary Barlow in ihre Richtung drehte, wurde sie von den anderen Zuschauern in ihrer Reihe gemaßregelt; zu viel Begeisterung offenbar. Sie entgegnete, dass ihre Begeisterung noch gar nicht das Limit erreicht habe. „Ich weine gleich auch noch!“, sagte sie.
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