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Archiv-Artikel

Nur Nachteile fürs eigene Kind

SPD wirft Behörde Desinteresse an Elternmitarbeit vor. Auf große Anfrage zum Thema gab‘s nur veraltete Zahlen aus 2002. Damals tagte die Schulkonferenz nur an jeder zweiten Schule. Eine Mutter: Viele Eltern haben Angst, sich zu engagieren

Von Kaija Kutter

Die Kritik an der nach dem Schulbuch-Desaster stark angeschlagenen Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) reißt nicht ab. Die fünffache Mutter und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Sabine Boeddinghaus machte gestern unerbittlich ein neues Fass auf. Dinges-Dierig, so ihr Vorwurf, habe ein „offensichtliches Desinteresse“ an der Mitwirkung der Eltern.

Diese fühlten sich „im Stich gelassen und nicht wertgeschätzt“. Sie würden zwar mit Gebühren belastet, aber ihre Einmischung in den Schulbetrieb sei „politisch nicht gewollt“. Dabei, so Boeddinghaus, könnte die Verbesserung desselben nur mit ihnen gelingen: „Eltern wollen, dass man auf gleicher Augenhöhe mit ihnen spricht.“

Das Elternbild vieler Lehrer, so ergänzte Mutter Sibylle Marth von der Max-Brauer-Gesamtschule, sei davon geprägt, dass sie mit schwierigen Schülern und Eltern die meiste Arbeit hätten. Viele Eltern hätten zudem Angst, dass ihr Engagement „Nachteile für die eigenen Kinder bringt“, ein Problem, welches enttabuisiert werden müsse.

Boeddinghaus geht davon aus, dass die Elternmitarbeit brachliegt, und hatte deshalb eine große Anfrage zum Thema an den Senat verfasst. Als Antwort erhielt sie jetzt nur veraltete, bereits bekannte Zahlen aus dem Jahre 2002. Damals hatten Behörde und Elternkammer in einer Erhebung festgestellt, dass nur an jeder zweiten Schule die Schulkonferenz vorschriftsgemäß tage. Auch die Informationen über Notenspiegel und Leistungsstand flossen eher dürftig. Und pädagogische Klassenkonferenzen fanden an jeder sechsten Schule gar nicht statt.

„Die Behörde hatte drei Jahre Zeit, etwas dagegen zu unternehmen, und hat nichts getan“, empört sich Boeddinghaus. Auch auf die übrigen Fragen, für deren Beantwortung die Beamten vier Wochen Zeit hatten, wurden fast nur alte Daten geliefert oder der Hinweis, dies sei „in der verfügbaren Zeit nicht zu erfassen“. So weiß die Behörde offenbar nicht einmal, wie oft sich Eltern mit Beschwerden an sie wenden.

Boeddinghaus fordert nun, dass dringend eine neue Erhebung gemacht wird, denn in den drei Jahren habe sich unter anderem durch das Lehrerarbeitszeitmodell vieles verschlechtert. So hätten viele Schulen ihre bisher zwei Elternsprechtage pro Jahr in Ermangelung von Zeit aufgegeben. „Wenn ein Elternsprechtag stattfindet, ist das ein gehetzter Galopp, bei dem in 15 Minuten durchgehechelt wird, wo mein Kind steht“, ergänzt der Harburger Elternvertreter Hans Korndörfer. Er fordert, diese „Nahtstelle“ zwischen Eltern und Schule dringend auszuweiten. Die Behörde indes bügelt die Frage nach den Elternsprechtagen mit der Behauptung ab, es lägen „keine gesicherten Daten vor“.

Boeddinghaus will nun in der Bürgerschaft einen Antrag zur Elternmitwirkung stellen, in dem sie unter anderem fordert, dass genug Zeit und Ressourcen für Elternsprechtage und Elternmitarbeit bereitstehen. Ohnehin, so ergänzt Marth, käme für die Mitarbeit nur eine sehr eingegrenzte Zahl von Eltern in Frage. Diese müssten selbstbewusst auftreten können, Zeit haben, das Geld, um die von niemanden ersetzten Büro- oder Fahrtkosten aufzubringen, und in der Lage sein, sich gut auf Deutsch in Schrift und Wort zu verständigen. Marth: „Da bleiben nur freiberufliche Akademiker deutscher Herkunft übrig.“

Hilfreich wäre es, wenn Elternarbeit als „Ehrenamt“ gelte und somit die Kosten von der Steuer abgesetzt werden könnten. Doch auch damit hat sich der Senat „noch nicht befasst“.