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Archiv-Artikel

Gewerkschaften plötzlich kampfbereit

Politische Streiks gegen Unions- und FDP-Pläne nicht ausgeschlossen. Sympathien für große Koalition erkennbar

BERLIN rtr/afp ■ Die Gewerkschaften erwägen wegen der Pläne von Union und FDP zum Tarifrecht auch Arbeitsniederlegungen. „Wer meint, politische Streiks seien nicht erlaubt, dem sagen wir, wir werden da sehr kreativ sein“, sagte der Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg, gestern.

Er schloss sich damit Hubertus Schmoldt an. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) hatte zuvor Auseinandersetzungen wie in Italien und Frankreich angekündigt: „Bei jeder Frage, egal ob betriebsbezogen oder politisch, kann es dann zu Aktionen von Demonstrationen bis zu Streiks kommen.“ Zwar seien Streiks aus politischen Gründen in Deutschland verboten. Wenn den Gewerkschaften aber das Fundament entzogen werde, werde eine Begrenzung bei den Streiks nicht mehr akzeptiert.

Union und FDP wollen nach der Wahl im September durchsetzen, dass Betrieb und Belegschaften auch gegen den Willen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverband in so genannten betrieblichen Bündnissen vom Tarifvertrag abweichen können. Besonders die FDP setzt sich zudem für eine Einschränkung der Mitbestimmung der Gewerkschaften in Aufsichtsräten ein.

„Wer glaubt, wir würden uns das kampflos gefallen lassen, der muss dumm sein“, betonte NGG-Möllenberg weiter. „Das einzig Charmante an einer großen Koalition wäre, dass die SPD dies dann verhindern würde.“ Der Chef der Bahn-Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, sprach von drohenden Tarif-Auseinandersetzungen als Dauerzustand. „Ganz sicher werden wir uns nicht darauf verlassen, dass das Verfassungsgericht uns hilft. Die Gewerkschaften werden Mittel und Möglichkeiten finden, um auf diese Herausforderung zu reagieren.“

Auch Ver.di-Chef Frank Bsirske kündigte gestern „zunehmende Unruhe“ in den Betrieben an, wenn Unions- und FDP-Pläne wahr würden. Gleichzeitig kritisierte Bsirske das Programm der Linkspartei und ließ Sympathien für eine große Koalition durchblicken: „Wichtig ist, dass es nach der Wahl weder ein ‚Weiter so‘ der SPD, noch ein radikalisiertes ‚Weiter so‘ von Union und FDP“ geben dürfe.

Der von der bisherigen PDS geforderte Mindestlohn von 1.400 Euro monatlich sei kaum durchsetzbar, sagte Bsirske. „Damit würde Deutschland von null an die Spitze der vergleichbaren Länder springen“. Realistisch sei eher ein Mindestlohn von 1.250 bis 1.300 Euro pro Monat. Bsirske hatte die Linkspartei im Juli als erster Gewerkschaftsboss begrüßt: Sie mache die Parteienlandschaft „spannender“.