Fritz ist verstrahlt

Die beiden Comics „Captain Berlin“ und „Austrian Superheroes“ definieren das Genre der Superheldenstories neu

„Führer“? Captain Berlin lässt sich nicht beirren Foto: Weissblech Verlag

Von Christoph Haas

Im Kino sind Superhelden weltweit erfolgreich. Daran dass sie fest in einer spezifischen Kultur wurzeln, ändert dies allerdings nichts. Liebe zum Überlebensgroßen, Verehrung heroischer Taten und ihrer Vollbringer, Faszination am Vigilantentum – sind uramerikanische Vorstellungen. Müssen die Frauen und Männer in den hautengen Anzügen nicht auch in mythischen Metropolen wie Gotham City zu Hause sein? Ein Superheld in Berlin oder Wien, geht das?

Erstaunlicherweise ja. Der in der deutschen Hauptstadt tätige Held heißt Fritz Neumann und ist ein unauffälliger Brillenträger, der – wie Clark Kent alias Superman und Peter Parker alias Spider-Man – als Zeitungsreporter arbeitet. In seiner Geheim­identität ist er Captain Berlin. Erschaffen wurde er im Krieg von antifaschistischen deutschen Wissenschaftlern. Ihr Plan, am 20. Juli 1944 Hitler gefangen zu nehmen und den Alliierten zu übergeben, schlug leider fehl. Dadurch, dass er in Hiroshima den Strahlen der A-Bombe ausgesetzt wurde, erlangte der Captain jedoch zusätzliche Kräfte. Seitdem wacht er, alterslos und unermüdlich, über die Geschicke Berlins.

Seine ersten Auftritte hatte der Captain schon 1982 und 1984 in Super-8-Filmen von Jörg Buttgereit, dem Regisseur des Nekrophilie-Schockers „Nekromantik“ (1987). Danach ließ Buttgereit seinen Helden im Hörspiel „Captain Berlin versus Dracula“ und einem Theaterstück auftauchen; seit 2013 gibt es gelegentlich erscheinende Comics. Buttgereit ist Hauptautor; die Zeichnungen stammen von diversen Künstlern. Die ersten vier Hefte, in denen sich Captain Berlin mit dem „Führer“, dessen fanatischer Gefolgsfrau Ilse von Blitzen und einem froschgrünen, godzillamäßigen Monster herumschlägt, haben Trash-Charme, wirken aber noch etwas planlos.

Was macht der VHS-Mann?

Die jüngeren Hefte spielen überwiegend in den Achtzigern. Buttgereit nutzt diese Beschränkung, um der Serie im Rückgriff auf reale politische und kulturelle Ereignisse einen amüsanten satirischen Dreh zu verleihen. So muss der Captain gegen den Genossen Berlin, einen von Honecker über die Mauer gesandten sozialistischen Superhelden, antreten, aber auch gegen den schrecklichen VHS-Mann, der mithilfe von „Videodromstrahlen“ – eine Anspielung auf David Cronenbergs „Videodrome“ (1983) – die Bevölkerung zu Gewalttaten anstachelt. Am lustigsten ist das Heft, in dem Kim Jong Il, Großvater des aktuellen nordkoreanischen Diktators, als „Kim Kong“ im riesigen Robotgorilla durch die Gegend tobt. Wie „Captain Berlin“ ist auch die Serie „Austrian Superheroes“ – abgekürzt „ASH“ – ein Gemeinschaftswerk. Szenarist ist der Comic-Journalist Harald Havas, der mit einer Crew von Zeichner:Innen zusammenarbeitet. „ASH“ startete 2016 als ein auf vier Hefte angelegtes Crowdfunding-Projekt; infolge des Erfolgs erscheinen nun zweimonatlich neue Ausgaben. Erzählt werden die Abenteuer der „Wiener Wächter“, einer Gruppe von Superhelden, die aus Captain Austria, der mutierten Catcherin Lady Heumarkt, der Nixe Donauweibchen und dem sogenannten Bürokraten besteht. Anfangs machen sie nur Patrouillengänge, als aber mit dem Basilisken, einer Art Tiermensch, ein übermächtiger Gegner auf den Plan tritt, sieht sich der Captain gezwungen, Kontakt zu seinem schwierigen Vater aufzunehmen, dem Captain Austria Senior, der eine frühere Generation der „Wächter“ angeführt hat. Stärker als „Captain Berlin“ setzt „ASH“ auf Lokalkolorit. Mit diesem Ansatz ist „ASH“ durchaus den populären Regionalkrimis verwandt; der erzielte Effekt ist aber anders: Der Kontrast zwischen all dem, was man mit Superhelden verbindet, und der biederen österreichischen Wirklichkeit führt zwangsläufig zu Brechungen, die Komik erzeugen. Allerdings handelt es sich bei „ASH“ keineswegs um Parodie. Wie in den klassischen Spider-Man-Stories gelingt es Havas vielmehr, Abenteuer, Humor und Melodrama zu verschmelzen.

Die bisher 16 Hefte von „ASH“ erzählen mehr als eine Geschichte. Die Handlung findet auf zwei Ebenen statt: Die Auseinandersetzung mit dem Basilisken weitet sich zum Abenteuer von epischem Umfang, während parallel kleinere Herausforderungen die „Wächter“ in Atem halten. „ASH“ ist ein ambitionierter Comic, der sich zugleich nicht zu ernst nimmt, und damit auch willkommene Abwechslung schafft zu Superheldenstorys, die vor allem brutal und düster daherkommen. Es ist eine fiktive Welt, von der man noch viele Fortsetzungen lang lesen möchte.

Jörg Buttgereit (Text)/ verschiedene Zeichner: „Captain Berlin“, Weissblech Verlag, Schönwalde OT Langenhagen.

Harald Havas (Text)/verschiedene ZeichnerInnen: „Austrian Superheroes“, CrossCult Verlag, Ludwigsburg