berliner szenen
: Na gut, ich glaube Ihnen

Vorgestern konnte ich vor einem Drogeriemarkt in Schöneberg das Schloss meines Fahrrads nicht öffnen. Mehrfach bewegte ich den Schlüssel hin und her, her und hin – bis ich nur noch einen Stummel in der Hand hielt. Ein Stück vom Schlüssel steckte nun im Schloss. Kurzum: Das Schloss war futsch, ich musste mein Fahrrad stehenlassen und nach Hause laufen.

Unterwegs ärgerte ich mich über den übertriebenen und schweren Einkauf, den ich im Fahrradkorb hatte transportieren wollen. Gestern Mittag nahm sich mein Freund des Dramas an. Er fragte in einem Fahrradgeschäft unweit meines Fahrrads, ob er ein Werkzeug zum Aufknacken des Schlosses borgen könnte. Dort fragte man nicht verwundert nach, sondern gab ihm bereitwillig eine riesige rote Zange. Als er gerade dabei war, mit aller Kraft das Schloss zu zerbrechen, spürte er ein dreifaches Tippen auf dem Rücken. Es war der Krückstock eines alten Mannes. Der musterte meinen Freund skeptisch und fragte: „Na, was machen Sie denn da?“ Mein Freund lockerte den Zangengriff und erklärte ihm, dass ein Teil des Schlüssels im Schloss stecken würde und er das Schloss nun aufbrechen müsste. „Aber gut, dass Sie fragen. Hier werden ja so oft Fahrräder geklaut, selbst am helllichten Tag“, meinte mein Freund versöhnlich. Der Blick des alten Mannes wurde noch skeptischer – kurz schwieg er, dann sagte er: „Aber das ist ein Damenrad, nicht wahr?“ Mein Freund nahm wieder den Zangengriff auf, drückte so fest zu, bis das Schloss aufbrach, dann antwortete er: „Das ist das Fahrrad meiner Freundin, keine Sorge.“ Der alte Mann blieb noch ein Weilchen stehen, sein Blick misstrauisch auf das Rad gerichtet. „Na gut. Dann glaube ich Ihnen mal“, entgegnete er und tippte meinem Freund noch ein letztes Mal mit seinem Krückstock auf den Rücken. Eva Müller-Foell