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So schön symmetrisch!

Ästhetik vs. Wissenschaft? Naturphilosoph Olaf Müller und sein Buch „Zu schön, um falsch zu sein“

Von Ingo Arend

„Zu schön, um wahr zu sein“. Wem ist die Floskel nicht schon einmal über die Lippen gekommen, wenn etwas alle Erwartungen zu übersteigen scheint oder vollkommen unrealistisch ist. Die wahre Wirklichkeit, so der Subtext der bündigen Phrase, ist komplizierter und vertrackter, schon gar nicht elegant. Schönheit und Wissenschaft scheiden sich wie Feuer und Wasser.

„Zu schön, um falsch zu sein“ – wenn Olaf Müller im Titel seines jüngsten Buchs diese pseudophilosophische Lebensweisheit nun umdreht, will er auch die Ästhetik von diesem Verblendungsverdacht befreien.

Seitenweise zitiert der Berliner Philosoph, Jahrgang 1966, der an der Humboldt-Universität Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie lehrt, Naturwissenschaftler, die sich gegen Aristoteles’ Angriff auf die Pythagoräer wenden. Der antike Philosoph geißelte die Anhänger des Pythagoras, weil sie mit ihrer Idee eines harmonischen Kosmos mehr an schönen Ordnungen interessiert seien als an den Phänomenen selbst.

Johannes Kepler, so Müller, habe sich für sein heliozen­tri­sches Weltbild entschieden, weil ihm das Bild der Sonne in der Mitte der Umlaufbahnen der Planeten „ästhetisch perfekt“ erschien. Paul Dirac, Mitbegründer der Quantenphysik, beispielsweise hat die Schönheit mehrmals als einzig wichtiges Kriterium zur Beurteilung physikalischer Theorien bezeichnet. Und der US-Physiker Brian Greene landete noch 2003 mit seinem Buch „Das elegante Universum“ einen Weltbestseller.

Müller geht es nun nicht um Banalitäten, wie etwa das ­naive Bekenntnis, dass ein optisches Phänomen wie der Regenbogen „schön“ ist. Im Kern will er zeigen, dass der Sinn für Schönheit ein konstituierendes Element wissenschaftlicher Arbeit ist. Ja, er versteigt sich zu der These, dass die moderne Physik ohne Schönheitssinn gar nicht hätte entstehen können.

Newtons Lichtstrahl

Gründlicher Naturphilosoph, der Müller ist, hält er sich natürlich nicht nur mit rhetorischen Bekenntnissen auf, er blättert die Naturgeschichte seit ihren Anfängen virtuos auf. Sein Kronzeuge jedoch hört auf den Namen Isaac Newton. Bei des Physikers Weißsynthese fächert sich bekanntlich ein Lichtstrahl, der durch ein Prisma fällt, in seine farbigen Bestandteile auf. Newton, so Müller, experimentierte zeit seines Lebens, um zu beweisen, dass dieser Versuch auch in der anderen Richtung funktionieren muss, symmetrisch funktionieren muss.

Das Beispiel zeigt Müllers etwas engen Schönheitsbegriff: Zu ihren Konstanten zählt er eben Symmetrien und, angelehnt an Aristoteles’ Regelpoetik, Einfachheit und Geschlossenheit – sowohl bei Experimenten wie bei den Modellen, nicht dagegen Brüche.

Man kann den Band wie ein unfassbares Bildungserlebnis goutieren: den Aufbau im Paragrafenstil philosophischer Traktate, verschwenderisch angereichert mit „Vertiefungsmöglichkeit“ genanntem Bonusmaterial. Das empirische Material, das Müller zu seinen Gunsten anführt, ist derart umfangreich, dass es jeden Gedanken an Alternativen als sinnlos erscheinen lässt. Und dass sich Lesende bei dem Gedanken ertappen dürften, Kunst für die bessere Wissenschaft – oder auch umgekehrt – zu halten.

Rund ist schöner

Sabine Hossenfelder ist dem akribischen Philosophen allerdings entgangen. In ihrem 2018 erschienen Buch „Das hässliche Universum“ führt die Quantenphysikerin, derzeit Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies, ebenfalls die Theorie von der elliptischen Bahn der Erde um die Sonne an. Sie wurde lange nicht geglaubt, weil man eine kreisrunde Bahn für „schöner“ hielt. Auch symmetrisch passende Elemente einer Theorie können einen „falschen Umkehrschluss“ enthalten, so Hossenfelder. Geschmacksurteile wie Harmonie, Symmetrie oder das, was Müller „Innere Vollkommenheit“ nennt, seien dagegen experimentell nicht beleg- und operationalisierbar.

Aber Müller will Naturwissenschaft und Ästhetik gar nicht in eins setzen. Er will auch nicht auf ein Primat der Ästhetik über die Naturwissenschaft hinaus. Unausgesprochen arbeitet er daran, die Dichotomie in ästhetisch und rational aufzulockern, und weist nur auf die unbestreitbare Tatsache hin, dass „unser Schönheitssinn einen Teil dessen konstituiert, was wir in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis anstreben“.

Zustimmen wird man auch Müllers Schluss, dass die beherzte ästhetische Urteilskraft die Wissenschaft menschlicher macht, weil darin ein Moment von Kontingenz steckt. Nur auf die Politik ist sein Plädoyer für ihren Einsatz auch außerhalb der Kunst kaum übertragbar. Spätestens seit dem Faschismus gilt da die alte Faustregel: zu schön, um noch demokratisch zu sein.

Olaf Müller: „Zu schön, um falsch zu sein. Über die Ästhetik in der Naturwissenschaft“. S. Fischer, Frankfurt am Main 2019, 576 Seiten, 34 Euro

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