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Stade macht Druck

Kehrt das Interesse am Tastsinn zurück? Wird dem Digitalen die Stirn geboten? Das Kunsthaus Stade glänzt dieser Tage mit klassischer und zeitgenössischer Druckgrafik

Von Frank Keil

Es gibt doch 3-D-Drucker. Man kann doch heute mit jedem Handy gute Bilder machen, die umgehend bearbeiten, jede Menge Effekte einstreuen – und wenn das nicht reicht, ab in den App-Store. Trotzdem gibt es noch KünstlerInnen, die sich über schlichte Holzplatten beugen und mit oft großem körperlichem Einsatz und entsprechendem Werkzeug in die hölzerne Oberfläche Linien und Löcher und Schraffuren pressen und drücken und schnitzen – für einen Holzdruck.

Ständig müssen sie daran denken, dass das, was man gerade weghobelt, sich nicht mit Farbe fühlen wird, sondern leer bleibt, während umgekehrt das, was stehenbleibt, auf dem Blatt sichtbar wird. Positiv und negativ – der arme Kopf. Ob man richtig lag, zeigt erst der erste Druck. Und lag man falsch, ist das Ergebnis nicht wie gewünscht, muss die nächste Holzplatte her. Nachbearbeiten – sehr schwierig.

Verblüffend aktuell

Wer sich für diese Kunst inte­ressiert, sollte sich dieser Tage ins Kunsthaus von Stade begeben. „Gratwanderung“ heißt die aktuelle Ausstellung, im Untertitel: „Expressionistische Holz- und Linolschnitte aus der Sammlung Museum August Macke Haus“. Und August Macke ist auch dabei, sein Ausspruch, dass man einen Künstler nirgends besser kennenlernt als in seiner Graphik ist also Programm.

So folgen Arbeiten von Erich Heckel, von Franz Marc, von Wassily Kandinsky, auch von Emil Nolde, wo man sich wieder kurz wundern kann, was er bei den Nazis wollte, bei den Bildern, die er auch druckgrafisch gefertigt hat. Doch deren Können, deren Vermögen und künstlerische Weitsicht, also deren Kunst – das kommt bei dieser Ausstellung erst später zum Tragen, dann aber umso mehr.

Erst mal verblüffen die aktuellen druckgrafischen Positionen: Da sind etwa drei großformatige Arbeiten der Leipziger Künstlerin Christiane Baumgartner, die tatsächlich digital startet und erst mal Bilder in Form von Dateien sammelt oder selber kreiert und daraus eine Serie von aufeinanderfolgenden Einzelbildern herstellt. Dann aber übersetzt sie diese auf der Holzplatte per Hand in horizontale wie vertikale Linien: Die Arbeit „Treffer“ führt uns so in eine vage Welt aus Licht und Schatten, und es empfiehlt sich die Arbeit mit schnellen Blicken abzuschreiten, um das Explosive dieser Arbeit zu erfahren.

Eindeutig erzählerisch sind die Holzdrucke von Gabriela Jolowicz, gleichfalls in Leipzig zu verorten. Man denkt erst: Das sind doch Zeichnungen, so exakt und so genau wie perfekt und nicht zuletzt prallgefüllt wird das darzustellende Geschehen hier in strengem Schwarzweiß abgebildet.

„Laptop“ zeigt einen aufgeklappten Laptop (er scheint einem „david“ zu gehören, wie ein Aufkleber rechts unterhalb der Tastatur nahelegt), mehrere Fenster sind geöffnet, eine historische Darstellung der Buchdruckkunst ist zu sehen; schaut man über den Laptop hinweg, blickt man auf die vielgeschichtete, abendliche Stadt, schaut auf Häuser, schaut in Fenster. Besonders tricky ihre Arbeit „Tattoo scumart“: ein Tätowierer konzentriert bei der Arbeit, die Körpereinschreibung vollzieht sich noch einmal im Nachdruck der beobachteten Szenerie.

Georg Winter wiederum bietet uns Drucke mittels Holzschnitten, Scherenschnitten verwandt und zeigt in extrem stilisierten Abbildungen Momente der heutigen, durchorganisierten Landwirtschaft: Dünger wird ausgefahren, Felder werden bespritzt. Sehr hübsch auch ein Holzhandy, das er bereit legt, falls man – das Haptische ist in dieser Ausstellung schließlich das Bestimmende – plötzlich Halt braucht.

„Merkel muss weg“-Stempel

Wieder anders, aber auch Druckgrafik sind die Stempelarbeiten von Barthélémy Toguo, der aus Kamerun stammt und der dort und in Frankreich lebt. Er hat sich von all den Stempeln in seinem Reisepass inspirieren lassen, bei jedem Grenzübertritt kam und kommt einer dazu.

Und er hat aus großen Holzstämmen grobe Stempel gefertigt, greift in den zu stempelnden Worten Schlüsselbegriffe der so genannten Migrationskrise auf: „Einwanderungsbehörde“ oder „Refugees welcome“, aber auch „Merkel muss weg“ lesen wir – jeder Stempel eine lebensgroße Büste, die in einem Gestell neben seinen Drucken aufbewahrt werden, sodass wir es hier zusätzlich mit einer leichthändigen Installation zu tun haben.

Bleibt noch Thomas Fornfeist, Schüler der Hamburger Performancekünstlerin Lilli Fischer, den es – das Vervielfältigungsprinzip des Drucks doppelt aufgreifend – ins Serielle zieht: ob Demonstranten, die etwas fordern oder der Heilige Georg, wie er den Drachen tötet, in langen Reihungen gleicher Drucke werden wir aufgefordert, uns mit Phänomenen wie Pathos oder Anbetung in ihrer bildnerischen Prägung auseinanderzusetzen.

Und die Alten? Macke, Kandinsky und Co.? Das Schöne ist, dass man sie dank der Nachbarschaft der jungen KollegInnen noch mal auf ganz eigene Weise ernst nimmt. Dass ihr damaliger Entschluss, sich der grafischen Reduktion hinzuwenden, die Darstellungsmöglichkeiten im Abstrakten zu erforschen, statt wuchtige Ölschinken voller Details und nicht enden wollender Ausschmückungen zu malen, eben in die Moderne der Abbildung führte, noch einmal kraftvoll deutlich wird. Und so werden sie in dieser Ausstellung im übertragenen Sinne wieder jung, auch wenn sie so sehr zum Kunstkanon gehören und man versucht ist, sie damit abzuhaken: gut, aber damals.

Klassiker als Ornament

Womit wiederum Christoph Ruckhäberle listig spielt, der großflächig Macke-Motive als Tapetenmuster zeigt: Ein Klassiker der Druckkunst wird nachgedruckt, wird nicht ganz ernstes Ornament. Ganz nebenbei hat man sich noch mal anders in der ja nun historischen Zeit des Expressionismus umgeschaut – und endlich sind auch mal die Arbeiten von Künstlerinnen zu sehen: Marie von Malachowski ist vertreten, Maria Uhden, die zum Sturm-Kreis gehörte, verblüfft mit einem sehr freien Holzschnitt, der Keith Harring bestens gefallen hätte; Lisa Hartlieb-Rilke, ist dank druckgrafischer Alltagsdarstellungen kennenzulernen – ein nächster Pluspunkt in dieser bemerkenswert frischen Ausstellung.

Gratwanderung“: bis 26. 1. 20, Kunsthaus Stade

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