Das politische System im Libanon: Die Religion entscheidet

Im Libanon leben 18 anerkannte Religionsgemeinschaften, darunter sunnitische und schiitische Muslime, maronitische Christen, Drusen und griechisch-orthodoxe Christen. Die Religion spielt jedoch nicht nur eine spirituelle Rolle. Das politische System ist entlang dieser religiösen Gruppen ausgerichtet. Deren Vertreter gelten als die Repräsentant*innen der Konfessionszugehörigkeiten und haben umfangreichen Einfluss auf das Personenstandsrecht, Erbrecht und Bildungseinrichtungen. Daher ist es beispielsweise unmöglich, im Libanon zivil zu heiraten. Nur Menschen, die die gleiche Konfession haben, werden von den religiösen Institutionen zur Ehe zugelassen. Im libanesischen Personaldokument muss eine Religionszugehörigkeit vermerkt sein.

Zivilgesellschaftliche Vorstöße zu Reformen dieser Gesetze wurden immer mit dem Argument abgetan, sie würden die fragile Balance der Konfessionen ins Wanken bringen. Referenz dabei ist der Bürgerkrieg, bei dem sich die Fraktionen entlang ihrer konfessionellen Linien gegenseitig von 1975 bis 1990 bekämpften. Vor 30 Jahren, im Oktober 1989, beendete das Friedensabkommen von Ta’if diese blutigen Auseinandersetzungen.

Doch die Spaltung der Gesellschaft entlang der Konfessionen blieb. Das Wahlsystem soll die politischen Rechte jeder Religionsgemeinschaft und damit den Frieden sichern. Die Sitze im Parlament sind deshalb nach der Konfes­sions­zugehörigkeit aufgeteilt. Libanesischer Präsident ist immer ein maronitischer Christ, der Ministerpräsident ein sunnitischer Moslem und der Parlamentssprecher muslimischer Schiit. Zwar ist dieses System 2017 aufwendig reformiert worden, so wechselte man vom Mehrheits- zum Verhältniswahlrecht. Aber auch weiterhin ist garantiert, dass die ehemaligen Milizenführer und ihre aristokratischen Familien an der Macht bleiben.

Diese Macht haben sie genutzt, um dem Land durch Korruption Geld zu entziehen, das sie dann in kleineren Portionen an ihre jeweilige Gemeinschaft zurückverteilt haben. Der Gedanke eines übergeordneten Gemeinwohls wie sauberes Trinkwasser, öffentlicher Nahverkehr, Parks und Bildungseinrichtungen, die durch Steuern finanziert werden, liegt ihnen fern. Infolge der Privatisierungen seit den 1990er Jahren und der engen Verquickung von politischer und wirtschaftlicher Elite ist das Land eines der ungerechtesten der Welt: 1 Prozent der Reichsten profitiert von einem Viertel des gesamtwirtschaftlichen Einkommens. Die untersten 50 Prozent sehen davon gerade einmal 10 Prozent. Eine breite Mittelschicht fehlt. Das ergab eine Studie des World Inequality Lab für das Jahr 2016.

Gleichzeitig konnten externe Mächte den innenpolitischen Proporz nutzen, um Einfluss auf „ihre“ konfessionellen Verbündeten geltend zu machen. Während die Unternehmerfamilie des sunnitischen Ministerpräsidenten Saad Hariri in Saudi-Arabien zu Mil­liardären wurde, wird die schiitische Hisbollah vom Iran finanziert.

Als selbst deklarierte Widerstandsbewegung gegen Israel hat die schiitische Hisbollah seit dem Krieg im Jahr 2006 viele Anhänger hinzugewonnen. Julia Neumann