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Archiv-Artikel

Der Protest ist tot, es lebe der Bachelor

In Nordrhein-Westfalen wird Schwarz-Gelb bald Studiengebühren einführen. Die Studierenden aus dem wichtigsten Hochschulland haben sich damit abgefunden. Vorbei das Anrennen gegen das Bezahlstudium, wie unter Rot-Grün praktiziert. Nur Versprengte bitten zum Camp gegen Schmalspur-Unis

„Unis verkommen zur reinen Berufsausbildung“, lamentiert ein Student. „Studierende sind nicht die Progressiven der Gesellschaft“

AUS BOCHUM UND DORTMUND LENNART LABERENZ

Die Reise ans Ende der akademischen Ausbildung führt nach Nordrhein-Westfalen. Die frühe S-Bahn zum Dortmunder Campus ist voll. Studierende unterhalten sich über Klausuren. Acht Prüfungen in zwei Wochen zum Semesterende scheinen keine Seltenheit, „Hauptsache, unter der Regelstudienzeit bleiben“, einigen sich zwei Freunde. Sie tragen gebügelte Hemden und lederne Segelslipper. Auf den Stufen zum Campus treffen sie auf Michael Dietl. Der zeltet seit ein paar Wochen vor der pädagogischen Hochschule. Dietl will die KommilitonInnen zum Protest animieren gegen die drohenden Studiengebühren, die unter der neuen schwarz-gelben Landesregierung drohen. Nur lassen die frisch geduschten Prüflinge den 30-jährigen Studenten achtlos links liegen.

„Viele nehmen das Camp wahr“, sagt der Student der Raumplanung, „mancher geht schon mal demonstrieren, aber richtig mitmachen – das machen ganz wenige.“ Dietl schüttelt den verschwitzten Kopf. Er verteilt weiter Flugblätter. „Rot-Grün hat der CDU hier die Tür geöffnet, viel kaputtschlagen können CDU und FDP gar nicht mehr“, sagt Dietl. Er meint damit Langzeitgebühren und Studienkonten, die bereits unter Rot-Grün in NRW eingeführt wurden. Studienkonten geben den Studierenden zwar ein Kontingent von gebührenfreien Semestern und belohnen flottes Studieren. Aber, so ist Dietl überzeugt, sie hätten als Vorstufe zum Bezahlstudium gewirkt.

Auch zwischen den kantigen Gebäuden der Reformuniversität Bochum, die seit 40 Jahren in Beton gegossene, sozialdemokratische Moderne darstellen, schlafen Studierende in Zelten. Von Balustraden hängen handgemalte Transparente, so schlaff, wie die klausurmatten KommilitonInnen in den Cafésesseln der letzten Semesterwoche. „Wir haben sicher die wesentlichen Auseinandersetzungen verloren“, resümiert Jonas Spiegel, 25, die jüngste Hochschulgeschichte. Gegen die Studiengebühren für Langzeitstudierende flammte der Protest in NRW kurzzeitig auf, um ebenso schnell wieder zu erlahmen. Gegen die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master gab es nicht einen Lufthauch von Widerstand. Fehlanzeige verzeichnet Spiegel auch beim Aufbegehren gegen die Pläne der neuen Landesregierung. „So richtig innovativ waren wir auch nicht“, gibt der Geografiestudent zu.

Spiegel war Vorsitzender eines linken Astas – bis eine Kungelrunde aus Jusos, RCDS und rechtslastigen Grünen das Gremium im Frühjahr gekippt habe. Es ging zu wie in der großen Politik. Wichtigtuerei, Postenkungelei, bezahlte Praktikastellen als Bestechung. Widerstand? Eher nicht. Spiegel sieht den matten Protest und die politische Verschiebung an den Hochschulen auch als Ergebnis einer veränderten Klientel an den Hochschulen. Seit der Einführung des Bachelors steige die Zahl der BewerberInnen. Immer mehr würden sich einschreiben für verschulte Tagesabläufe, rigide Anwesenheitskontrolle, enge Leistungsüberprüfung, kanonisierte Wissensvermittlung. „Universitäten verkommen zur reinen Berufsausbildung“, sagt Spiegel. Gremienarbeit, Selbstverwaltung oder politischer Protest falle da schon aus Zeitgründen aus. „Studierende sind nicht mehr die progressiven Truppen der Gesellschaft“, lamentiert Spiegel.

Aus der vierten Etage blickt Josef König hinunter auf drei Dutzend Zelte, die sich mit Spezialheringen im Betonboden festhalten. Der Sprecher der Ruhruniversität schließt das Fenster, das Geräusch der losen Platten, die unter den Schritten Vorbeilaufender in ihre Verankerung schlagen, klingt kaum gedämpft in sein Büro. Es hört sich an, als sei ein Abrisskommando am Werk. König sagt, was 68er so sagen: Brav seien die Studierenden von heute geworden.

Die Universität habe nun mal einen Ausbildungsauftrag, rechtfertigt er die Umstellung der Studiengänge. Schließlich studieren bereits 30 Prozent eines Jahrgangs. „Die elitäre Wissenschaftsorientierung von früher funktioniert nicht mehr.“ Mit Stolz verweist er auf die Geschichte der Universität, auf das bildungsferne Arbeitermilieu, in dessen Mitte die Hochschule gebaut wurde. Er weist auf den Umstand hin, dass die Universität schon vor zwölf Jahren die Studienordnungen geändert habe. Bachelor und Master seien hier früher und mittlerweile flächendeckend eingeführt worden. „Aber“, hält er inne, „wir können nicht versuchen, Teile eines amerikanischen Bildungsprinzips zu kopieren, ohne über den Kontext zu sprechen.“

Das Ideal des aufgeklärten Menschen? Die kritische Rolle der Wissenschaft? Ist die Universität nur noch ein Erfüllungsgehilfe des Kapitals? König schaut, als melde sich ein bislang übersehener Nierenstein. „Sie verbreiten alte Ideologien“, wirft er dem Fragenden vor. „Das sind Mythen nach 1968.“ Sicher, wo die Universität plötzlich Geld verdienen soll, „werden wir in der einen oder anderen Aussage gefälliger“. Insgesamt sehe er aber für die Ruhruniversität keine Gefahr: „So groß ist der Einfluss des Kapitals auf das Handeln der Universität nicht.“ Er zählt Sonderforschungsbereiche auf, die so leicht nicht auf wirtschaftslogische Linie zu bringen seien, führt WissenschaftlerInnen an, deren 60-Stunden-Wochen aus eigenem Ehrgeiz zustande kämen.

Dass aus alldem nicht notwendig Kritik wächst, fällt bei König unter den Tisch. Er sagt stattdessen: „Wir diskutieren die Einführung von Studiengebühren mit den Studierenden.“ Wie ein Reflex gerinnt auch im Büro des Universitätssprechers stets aller studentischer Protest zur Diskussion um Gebühren. Wie überall: Der gesellschaftliche Wandel erscheint übermächtig („Globalisierung!“), Kritik daran wird auf Besitzstandswahrung oder Romantik reduziert. Das Thema Studiengebühren hat seinen metaphorischen Gehalt verloren. König beschreibt das Bochumer Zögern bei der Einführung des Bezahlstudiums dementsprechend. „Die Rahmenbedingungen dafür bestehen noch nicht, es fehlt an Stipendien und Ermutigung für sozial Schwächere.“

Dortmund und Bochum sind Pendleruniversitäten. Ihr Einzugsbereich weist weit über das Ruhrgebiet hinaus bis ins Sauerland. „Protestcamps sind erste Schritte, die Uni wieder als Lebensraum zu begreifen“, sagt Gerd Krauss. Er ist Student, zählt 32 Jahre und ist langjähriger Aktivist. Die letzte Nacht hat er im Protestcamp verbracht. Ihm fiel die peinliche Sauberkeit im Lager auf, „heute Morgen lagen da noch ein Mobiltelefon und zwei Portemonnaies im Wohnzimmer-Zelt, aber die Bierflaschen räumen sie abends schon weg.“ Die Angst, als faule Langzeitstudierende abgestempelt zu werden, ist selbst bei den Protestlern offenbar groß. Vermutlich ebenso wie die Angst, Seminare zu verpassen.

„Der Druck ist hoch“, erklärt Krauss, „die Verschulung der Studienfächer lässt einen radikaleren Protest gar nicht mehr entstehen. Und die Zeiten, in denen wir Lebenserfahrungen wie Hausbesetzungen in den studentischen Protest einbringen konnten, sind vorbei.“ Ein Streik mit langfristig besetztem und selbst organisiertem Lehrbetrieb hatte sich in ganz NRW nicht organisieren lassen. Man wolle sich beim Protestieren nicht ins eigene Fleisch schneiden, lautete das Argument.

Krauss findet deshalb die Protestcamps interessanter als die Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre um Langzeitgebühren. „Wir erobern uns mit solchen Aktionen Räume zurück, können kreativer arbeiten und diskutieren.“ Ist das ein erfolgreicher Ansatz für Repolitisierung? „Schwierige Frage“, zögert der Geschichtsstudent Krauss. Natürlich ist er sich im klaren, dass Studierende privilegiert sind. Ihm geht es nicht um elitäre Selbstbehauptung, sondern um den Gesellschaftsentwurf, der sich nicht der Wirtschaft unterordnen dürfe. Der studentische Wille, genau daran teilzunehmen, ist jedoch mau, das sieht er auch. Die „Ichichich“-Generation für längerfristige Mitarbeit zu gewinnen? „Klappt kaum. Wir haben nicht mal mehr genügend Leute für Fachschafts-, oder Asta-Arbeit“, sagt er im Zug nach Bochum. Aber verlöschen lassen will der das Lichtlein Studierendenprotest dennoch nicht.

In der S-Bahn unterhalten sich zwei Studentinnen. Lehrerin will eine werden. „Alles sehr einfach bei uns“, schwärmt sie. „Nur die Anwesenheit wird kontrolliert. Ich komme grade aus der Klausur. Es waren so viele Leute da, dass ich bequem vom Nachbarn abschreiben konnte.“ Ihre Freundin hört ungläubig zu, sie studiert Industriemathematik. „Die eifrigsten“, fährt die erste mit spöttischem Grinsen fort, „belegen jetzt ‚Grammatik der Alltagssprache‘. Ich mache mein letztes Hauptseminar, ‚Sprechen mit Tieren‘.“

„Wir sind dabei, unsere akademische Kultur zu vernichten“, nickt Rainer Dollase, 62, ein weißhaarig-gutmütiger Westfale, Professor der Sozialpsychologie von Beruf. Bielefeld, noch so eine Uni auf der grünen Wiese. Das Erdgeschoss ein langer Schlauch, aus dem in Türmen der Wissenschafts- und Lehrbetrieb in den Himmel wächst, die Luft ist staubig, die Oberlichter verdreckt. Die romantischen Lebensvorstellungen der Grünen gedeihen hier bei Studierenden in der ostwestfälischen Provinz, doch wer einen Studienplatz woanders ergattern kann, wechselt so schnell wie möglich.

„Dies ist der unbeliebteste Studienort in NRW“, lacht Dollase und weist auf Hochschulrankings. Die niedrigen Sympathiewerte ändert auch nicht die vorzügliche Bibliothek, das enge Verhältnis von Lehrenden und Lernenden. „Es ist die Stadt“, bestätigt Dollase. Glückliche Studierende scheinen aus rascher Ausbildung, festen Berufsaussichten und attraktiven Lebensbedingungen montiert zu sein.

„Wir haben 3.000 Studierende weniger, seit wir die Langzeitgebühren eingeführt haben“, sagt Dollase. Damit liegt Bielefeld in der gleichen Kategorie des Studentenschwunds wie Bochum. In Köln waren es sogar rund 8.000, die sich plötzlich nicht mehr einschrieben – und doch keinen Abschluss hatten. Plötzlich gab es wieder Sitzplätze, vielleicht haben sich auch die Wartezeiten vor dem Sekretariat verringert. „Da sieht doch kaum einer, dass wir viele vom Studium ausschließen“, Dollase rührt in seinem Kaffee. Die radikale Zielorientierung „Arbeitsmarkt“ werde von den Studierenden mittlerweile selbst gefordert. „Lebenslanges Lernen“ oder Ideen wie „Aufklärung“ hören sich an wie graue Gestalten aus vergangener Zeit. Auch in Bielefeld herrscht mittlerweile eher eine kanonisierte Abfragemechanik. „Es geht fast nur noch um gute Noten und Abschlusstitel, Inhalte sind nebensächlich. Die Rebellion findet hier nicht mehr statt.“ Dollase sitzt in der Cafeteria mit dem schwarzen Gummiboden. Zum ersten Mal wirkt er traurig.