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Archiv-Artikel

Präsident und Land im stabilen Koma

Guinea wartet seit Jahren auf den Tod seines alten Präsidenten Lansana Conté. Dann, so die Hoffnung, ist endlich eine Öffnung möglich. Vorher passiert nichts. Außer wenn angesichts galoppierender Lebensmittelpreise den Menschen die Geduld reißt

Regelmäßig begibt sich der 71-jährige Präsident in Intensivpflege

AUS CONAKRY HAKEEM JIMO

Wenn es um Reis geht, wird es ernst in Guinea. Kostet ein 50-Kilo-Sack Reis weniger als 30.000 guineische Franc, ist alles in Ordnung. Im Moment steht der Preis bei rund 100.000 – ungefähr 20 Euro, die Hälfte des Monatseinkommens eines einfachen Beamten. Dementsprechend ist die Stimmung.

Schon vor einem Jahr kam es in Guinea zu Reisrevolten. Jugendliche überfielen Reistransporte, plünderten Lager und Geschäfte. Seit einigen Wochen kommt es erneut zu Zwischenfällen.

Reisrevolten haben eine Tradition in dieser Region Westafrikas. Als die Preise in Guineas Nachbarland Liberia Ende der 70er-Jahre stark stiegen, gingen Liberianer auf die Barrikaden. Der Anfang vom Ende des damaligen Regimes war eingeleitet und damit der Beginn von Jahrzehnten Instabilität und Krieg. Heute steht auf einer Wand entlang der größten Straße der liberianischen Hauptstadt Monrovia der Spruch: Reis ist Leben.

In Guinea hat sich der Reispreis innerhalb weniger Jahre vervierfacht. Treibstoffe verteuerten sich im Mai um 55 Prozent. Reflexartig verteuerten Händler ihre anderen Waren auch. Viele der 8 Millionen Einwohner Guineas wissen nun weder ein noch aus. „Die Menschen können von ihrem Einkommen einfach nicht mehr ihre Familien satt bekommen“, sagt Oumar Yacine, ein Journalist in der Hauptstadt Conakry. Tatsächlich sind die Löhne seit zehn Jahren eingefroren.

Bislang konnte Präsident Lansana Conté mit Versprechungen verhindern, dass der Unmut in offene Ablehnung seines Regimes umschlägt. Doch heute geht Conté langsam die Macht aus. Anfang Juli hatte er der jüngsten Teuerungswelle für Reis zunächst wenig entgegenzusetzen. In einem Gespräch mit Reisimporteuren bat er sie, Mitleid zu haben. Regierungsstellen ließen verlauten, dass kein Geld für Subventionen vorhanden sei. Nach einem heißen Wochenende sagten Guineas Funktionäre zu, doch wieder den Reispreis zu drücken. Aber er sank nicht.

Guinea hält ein Drittel der weltweiten Reserven für Bauxit, den Rohstoff für Aluminium. Zudem lagern große Mengen Gold, Eisenerz und Diamanten im Boden. Aber wegen Korruption und Misswirtschaft ist Guinea eines der ärmsten Länder Westafrikas, und die Geber halten sich zurück: Zu wenig Demokratisierung werfen sie Präsident Conté vor, der 1984 per Militärputsch die Macht ergriff und sich mehrfach in sehr umstrittenen Wahlen bestätigen ließ. Auf rund 100 Millionen US-Dollar musste Guinea bislang verzichten.

Ein westlicher Diplomat in Conakry findet, der Stopps von Entwicklungs- und Budgethilfe vor allem der EU sei ein Erfolg: Nun, langsam, bewege sich das Regime. In der Tat gibt es Fortschritte. Die Regierung hat zugesagt, endlich unabhängige Radiosender zuzulassen. Auch Reformen des Wahlgesetzes stehen an.

Die bröckelnde absolute Macht von Präsident Conté geht einher mit seinem gesundheitlichem Siechtum. Der Kettenraucher leidet an schwerem Diabetes und hat ein Raucherbein. Regelmäßig muss sich der 71-jährige in Intensivpflege begeben. Seit Jahren wartet Guinea auf das Hinscheiden seines Präsidenten – vorher rechnet keiner mit politischen Veränderungen. Wer sich heute schon aus der Deckung wagt, kann sich des politischen Todes sicher sein. Wie kürzlich der Finanzminister, der die Regierung kritisierte und sich aus Angst vor Vergeltung mit seiner Familie nach Frankreich absetzte.

Politische Beobachter wie die renommierte „International Crisis Group“ sehen Guinea als Westafrikas nächsten Kandidaten für Staatszerfall. Die entlegene Waldregion im Ländereck zwischen Sierra Leone, Liberia, Guinea und Elfenbeinküste ist Refugium für hunderttausende Flüchtlinge aus diesen Ländern und Aufmarschgebiet für unterschiedliche Rebellen. Nicht zuletzt wütet dort auch eine bittere Rivalität über Land zwischen alteingesessenen und zugewanderten Volksgruppen.

Trotzdem scheint das Machtgefüge in Guinea stabil. Die drei Hauptvolksgruppen haben ein Gleichgewicht gefunden. Keiner ihrer Führer denkt an Abspaltung oder Durchsetzung einer Alleinherrschaft. Seit den Jahrzehnten der Isolation unter Unabhängigkeitsführer Sékou Touré, der Guinea 1958 als erstes Land aus Französisch-Westafrika löste, ist dem Volk ein starker Patriotismus eingeimpft. Auch in der Armee ist kein Bruch sichtbar, und die politische Opposition ist zersplittert. Am ehesten dürfte ein Wandel aus der Regierungspartei selbst kommen – wohlgemerkt erst nach Conté.