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Der Erinnerungs-Macher

Der kambodschanische Regisseur Rithy Panh ist der wichtigste Chronist der Terrorherrschaft der Roten Khmer. Seine Filme geben den Ermordeten eine Stimme

Nicht ein einziges Bild seiner Familie ist Rithy Panh geblieben. Die Eltern und die Geschwister des Regisseurs starben bei der Zwangsarbeit unter den „Khmer Rouge“, der Guerillagruppe, die Kambodscha in den 70er Jahren einen mörderischen Kommunismus aufzwang. Er selbst überlebte nur, weil er nach Thailand fliehen konnte. Es gelang ihm, nach Frankreich auszureisen, wo er 1985 Filmregie studierte. Nach seinem Abschluss kehrte er 1990 nach Kambodscha zurück, und begann, Filme zu drehen. Bis heute pendelt er zwischen Paris und Phnom Penh.

Die meisten Bilder seines Heimatlandes sind verschwunden – und sind das zentrale Thema seines Filmschaffens. Interna­tio­nal bekannt wurde er 1994 mit „Das Reisfeld“. Inzwischen hat er mit neunzehn Spiel- und Dokumentarfilmen Kambodscha aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen ästhetischen Methoden neue Bilder geschenkt.

Zu seinem Werk gehören ­neben Melodramen wie „Eine Liebe nach dem Krieg“ (1998) aufwühlende Dokumentarfilme wie „La terre des âmes errantes“ (2000) über die Arbeiter, die Kambodscha ans Internet anschließen sollen, und „Les artistes du Théâtre Brûlé“ (2005) über die Schauspielergruppe, die im aufgegebenen Nationaltheater Stücke aufführt. Selbst für die verlorenen Fotos seiner Familie fand er schließlich Ersatz: Für „Das fehlende Bild“ (2013) ließ er von dem Bildhauer Sarith Mang aus Ton kleine Figuren schaffen, die seine ermordeten Familienmitglieder darstellen.

So konnte er endlich die Geschichte erzählen, wie er 1975 als 13-Jähriger zusammen mit seiner Familie von den Roten Khmer aus seiner Heimatstadt Phnom Penh deportiert wurde. In Arbeitskollektiven mussten sie auf Reisfeldern und in Wäldern schuften, bis seine Eltern an Erschöpfung und Unter­ernährung starben. Der Film bekam den Preis der Kategorie „Un Certain Regard“ in Cannes 2013 und war 2014 als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert.

Am bekanntesten ist sein Dokumentarfilm „S-21: Die Todesmaschine der Roten Khmer“ von 2007 über das Foltergefängnis Tuol Sleng. Nur zwölf Menschen, die hier eingesperrt waren, haben die Haft überlebt. Im Film werden einige von ihnen am Ort des Geschehens mit ihren Gefängniswärtern und Folterern konfrontiert.

Für Zuschauer ist es oft kaum zu ertragen, mit welcher Ruhe die Opfer mit ihren einstigen Peinigern sprechen.

„Kino ist, als könnte man die Erinnerung zurückspulen, sodass heutige und zukünftige Generationen sich der Vergangenheit erinnern und von ihr lernen können“, sagt Rithy Panh in einem Interview. „Der Genozid hat in meinem Land zu einer dramatischen Auslöschung von Erinnerung geführt. Wir haben unsere Identität und unsere Würde verloren, und ich will sie durch meine Filme wieder zurückbringen. Ich war dem Tod sehr nahe, und wenn ich heute Filme mache, ist das für mich wie eine Wiedergeburt.“

Nicht nur in seinen Filmen hat Rithy Panh die gewalttätige Geschichte seines Heimatlandes dokumentiert. Seine Erfahrungen unter den Roten Khmer beschrieb er in dem Buch „Auslöschung: Ein Überlebender der Roten Khmer berichtet“.

In Phnom Penh richtete er das Medienarchiv „Bophana Center“ ein, um die bewegten Bilder, die es von Kambodscha gibt, zu sammeln und zu bewahren. Die Institution ist zum wichtigen Anlaufpunkt für junge Filmemacher geworden, die nicht die schmalzigen Melodramen und die billigen Horrorfilme drehen wollen, die in Kambod­scha vorwiegend produziert werden. Bis heute ist Panh der einzige Autorenfilmer des Landes mit internationalem Renommee. Zuletzt wurde er als Produzent tätig, für den Netflix-Film „Der weite Weg der Hoffnung“ von Angelina Jolie nach dem Buch von Loung Ung.

In der Filmreihe „Arbeit an der Erinnerung“ im Berliner Arsenal ist auch der neueste Film Panhs zu sehen: „Gräber ohne Namen“ von 2018, bei dem es um die vielen Kambodschaner geht, die während der Terrorherrschaft starben und irgendwo verscharrt wurden. Die Angehörigen, die nun nach ihrer letzten Ruhestätte suchen, sind eine Allegorie für das ganze Land, das seiner Vergangenheit beraubt wurde.

Leider fehlt in der Filmreihe Rithy Panhs schönster Film: „Die Leute von Angkor“ von 2004. Er beobachtet die Arbeiter, die in der riesigen Tempelanlage Angkor Wat die Ruinen restaurieren. Der unaufgeregte, langsame Film zeigt, dass es auch ein Kambodscha jenseits von Genozid, Kolonialismus und Elend gibt – und dass die einfachen Leute, die in der Touristenattraktion Steine schleppen und Unkraut jäten, manchmal wesentlich mehr über die historischen Bauwerke wissen als die Archäologen.

Arbeit an der Erinnerung. Die Filme von Rithy Panh,

1. – 23. 11., Kino Arsenal

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