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Real crime und Katzenjammer

Langlebige Leistungsschau: Am 29. Oktober beginnen die diesjährigen Nordischen Filmtage in Lübeck – es ist die 61. Ausgabe des Festivals. Ein Blick auf zwei ganz unterschiedliche, aber besonders gelungene Produktionen

Von Wilfried Hippen

Wer vom (amerikanischen) Comicstrip spricht, wird nicht schweigen können von Wilhelm Busch und seinen Bildergeschichten. Entscheidendes zur Entwicklung des Genres leisteten aber auch die sehr viel weniger bekannten Gebrüder Dirks. Geboren in Heide in Holstein, wanderten sie Ende des 19. Jahrhunderts in die USA aus. Dort plagiierte Rudolph Dirks (1877–1968) schamlos Buschs Lausbubengeschichten – Dirks’ „Katzenjammer Kids“, erstmals erschienen im Dezember 1897, gehörten zu den ersten und erfolgreichsten Streifen mit komischen Zeichnungen in New Yorker Zeitungen. Ein Pionier war auch sein jüngerer Bruder Gus (1881–1902), dessen Käfergeschichten-Reihe „Bugville“ den Comics mit tierischen Hauptfiguren vorausging, mit denen Walt Disney weltberühmt wurde.

Die Filmemacherin Martina Fluck, gebürtige Düsseldorferin und Wahl-Norddeutsche, erzählt die Lebensgeschichte der beiden Brüder in ihrer Dokumentation „Katzenjammer Kauderwelsch“. Premiere hat der Film am 3. November um 13.15 Uhr im Lübecker Cine Star. Sie hat dafür einen stilistisch interessanten Ansatz gefunden: Der Film folgt Tim Eckhorst, selbst Zeichner, der sich schon seit zehn Jahren mit Leben und Werk der Brüder Dirks beschäftigt. Nun erhielt der Kieler die Gelegenheit, in die USA zu reisen und dort Nachkommen, ehemalige Kollegen der Dirks, Historiker oder auch eine Galeristin zu befragen. Etwa den inzwischen 91 Jahre alten Comiczeichner Hy Eisman, der noch Dirks noch selbst kannte und später dessen Arbeit an den „Katzenjammer Kids“ fortgeführt hat.

Die Kamera blickt Eckhorst immer wieder über die Schulter auf seinen Zeichenblock, in dem er das Erlebte in Skizzen festhält. So bekommt der Film ganz natürlich eine zweite Ebene – und was wäre einer Comiczeichner-Biografie angemessener als gezeichnete Porträts? Im Laufe seines Lebens brachte Rudolph Dirks es zu einer Existenz als erfolgreicher Künstler, der sich in den Sommermonaten in das Küstenstädtchen Ogunquit, Maine, zurückzog, das sich zu einer luxuriösen Künstlerkolonie entwickelte. Indem Fluck gerade dort – sowie in New York – Zeitzeugen gesucht und gefunden hat, ist ihr nebenbei auch noch ein kleines Soziogramm des gehobenen Bildungsbürgertums an der US-Ostküste gelungen.

Eine wahre Geschichte – oder?

Wie erzählt man eine „wahre Geschichte“? Mit den Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm – und den Möglichkeiten, die sich durch ihre Verunklarung eröffnen – spielt Sven O. Hill in seinem Film „Coup“ (30. Oktober, 22.15 Uhr, Cine Star). Es ist die Geschichte eines jungen Bankangestellten, der 1988 in Hamburg eine Sicherheitslücke bei Finanztransaktionen ausnutzte und sich zusammen mit einem Kumpel mit zweieinhalb Millionen geklauten DM nach Australien absetzte – von wo die beiden nicht ausgeliefert werden durften.

Was wäre einer Zeichner-Biografie angemessener als gezeichnete Porträts?

Seine Lebensgeschichte erzählt der namenlos bleibende Täter direkt in die Kamera – und er ist ein guter Erzähler: Er beginnt etwa damit, dass er als Kind einen kaputten Rasenmäher mit nach Hause gebracht habe, den sein Vater dann reparierte. Einleuchtend, dass später ein Motorradfahrer und Rocker aus ihm wurde, oder? So musste er in seiner Bank-Arbeitswelt Außenseiter bleiben, den sein Job immer mehr langweilte. Bebildert wird diese Geschichte zum Teil mit minimalistischen Animationen, vor allem aber mit nachgestellten Spielszenen, in denen dann etwa Daniel Michel den Protagonisten spielt (und Rocko Schamoni einen schmierigen Rechtsanwalt in Australien). Zur Etablierung der australischen Szenen reichen ein paar Archivbilder von Palmenstränden und der Oper von Sydney – sowie Außenaufnahmen auf einem Golfplatz, der ja hier aussieht wie dort.

Jeden auch nur halbwegs authentisch wirkenden Realismus vermeidet Hill, den Film durchzieht der Charme eines fadenscheinigen B-Movies. Inszeniert hat er ohne im Drehbuch festgelegte Dialoge, die DarstellerInnen improvisieren fröhlich vor sich hin. Verstehen kann man sie dabei auch nicht immer, aber man verpasst nichts Entscheidendes: Aus dem Off erzählt der Täter eh viel schöner.

Diesen Kunstgriff kann man als Verfremdungseffekt in Brecht’scher Tradition verstehen – und Brechts viel zitierter Satz, dass das Bestehlen einer Bank harmlos sei im Vergleich zu ihrer Gründung: Er passt ja auch zu diesem unterhaltsamen und subversiven Film.

61. Nordische Filmtage: 29. 10. – 3. 11., Lübeck.

www.nordische-filmtage.de

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