piwik no script img

Demokratie verteidigen

Nachruf auf den Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, der lange in Berlin lehrte

Von Rudolf Walther

Der 1937 geborene Politikwissenschaftler Wolf-Dieter Narr, der am Samstag in Berlin gestorben ist, war keine alltägliche Erscheinung in der akademischen Welt: Er meinte es ernst mit dem, was er lehrte und worüber er forschte. Schon als Student beteiligte er sich 1959 an der Organisation des „Studentenkongresses gegen Atomrüstung“. Als junger Wissenschaftler gehörte er neun Jahre später zu den Mitbegründern der „Bundesassistentenkonferenz“ (BAK) – die bildete die intellektuell anspruchsvollste und politisch wichtigste Organisation für die Hochschulreform – also für die Überwindung der alten Ordinarienherrlichkeit und für die Mitbestimmung von Assistenten und Studenten („Drittelparität“). In den Notstandsgesetzen und in der Großen Koalition von Kiesinger/Brandt von 1969 sah Narr eine Gefahr für die Demokratie und trat aus der SPD aus.

Ab 1971 und bis 2002 lehrte Narr als Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin. Sein Lehrstuhl für „empirische Theorie der Politik“ ist ein Unikum im universitären Betrieb, bezeichnet aber genau, worum es Narr ging: Neben der Theorie mit 500 Aufsätzen und Büchern, die er in 50 Jahren als Hochschullehrer schrieb, ging es ihm immer auch um politische Praxis, wie zum Beispiel den Widerstand gegen die Demontage des Asylrechts und die Deportation von Flüchtlingen. Er gehörte zu den Mitbegründern des „Instituts für Bürgerrechte und öffentliche Sicherheit e. V.“, war seit 1978 Mitherausgeber der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP, die sich mit Fragen der Sicherheit, der Demokratie und der Menschenrechte beschäftigt, aber auch mit der Beobachtung von Demonstrationen und sicherheitsstaatlichen Übergriffen.

Narr engagierte sich in der außerparlamentarischen Linken, ab 1969 im Sozialistischen Büro, in der Friedensbewegung und seit 1980 vor allem im „Komitee für Grundrechte und Demokratie“. Zeitweise war er dessen Sprecher.

Obwohl Wolf-Dieter Narr seit längerer Zeit an einer tückischen Krankheit litt, die seine Sprech- und Bewegungsfähigkeit beeinträchtigte, hielt er an seinem politischen Engagement fest. Zu seinem 80. Geburtstag vor zwei Jahren erschien im Verlag Westfälisches Dampfboot eine Sammlung seiner Aufsätze, „Radikale Kritik und emanzipatorische Praxis“. Die Texte bilden das politische Vermächtnis eines Kämpfers, für den gewaltfreier, ziviler Ungehorsam und radikale Kritik das Energiezentrum für die Demokratisierung bildeten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen